Advocatus Diaboli
sie zu einem günstigeren Zeitpunkt verschönern lassen!«
Benedetto stimmte ihm ohne Überzeugung zu, missbilligte die zur Schau gestellte Sparsamkeit mancher Leute, kam dann jedoch ohne weitere Umschweife zur Sache.
»Ich suche eine erst kürzlich verfasste Heiligenkunde«, sagte er. »Das Werk müsste vor etwa zwei Jahren dem Lateran übergeben worden sein. Eine offizielle Bestellung.«
Salvestro Conti zog die Augenbrauen hoch.
»Ein neues Leben der Heiligen ? Es sind bereits zahlreiche und auch hervorragende Werke im Umlauf, aber sie alle sind älteren Datums.
Man berichtigt sie stellenweise, man fügt neue Motive der Heiligkeit hinzu, aber mehr nicht. Abgesehen von diesem Jacobus de Voragine und seinem angeblich anmaßenden Werk über das Heilige Kreuz ist mir in den letzten Jahren nie etwas von einer eigenen Bestellung des Laterans zu Ohren gekommen. Von wem soll es sein?«
»Einem gewissen Otto Cosmas aus dem Königreich Böhmen.«
Conti lachte laut auf.
»Ein Böhme! Nie gehört, diesen Namen. Wenn man überdies an diese Waldenser denkt, die von Rom verdammt wurden und in Mähren und Böhmen noch Widerstand leisten, dann kann ich mir kaum vorstellen, dass der Lateran ein so sensibles Werk wie das Leben der Heiligen ausgerechnet einem Mann anvertraut, der in diesem Ketzerland geboren wurde. Welchem Orden gehört er an?«
»Ich weiß es nicht. Er scheint mir kein Ordensmann zu sein. Er lebte alleine in Rom, hinter den Thermen des Diokletian.«
Salvestro Conti erbebte neuerdings.
»Ein Weltlicher? Das ist undenkbar. Kein Bischof würde ihn dulden. Wenn dem so wäre, dann hätte ich als Erster von ihm erfahren! Ich habe meine Informanten in allen scriptoria Italiens. Mein Wort darauf, dieser Otto Cosmas ist ein Betrüger, und sein Buch existiert wahrscheinlich überhaupt nicht, Benedetto! Wer hat dich auf diese falsche Spur gebracht?«
»Ein junger Mann aus dem Lateran ist verschwunden …«
Salvestro schüttelte den Kopf.
»Aus dem Lateran?«
Der Mann, der ständig nervös und voller Ticks war, setzte mit einem Schlag eine undurchdringliche, ernste Miene auf.
»Das ist kein guter Moment, um dem Lateran in die Quere zu kommen, mein Freund«, riet er.
»Wegen der Wahl des neuen Papstes?«, fragte Benedetto.
»Weshalb sonst? Dieses Mal heißt es, dass das Konklave aus einem noch nie dagewesenen Grund gespalten ist. Gewöhnlich
liegt es am diplomatischen Druck des Kaisers und des Königs von Frankreich, die ihre jeweiligen Favoriten verteidigen, wenn die Kardinäle sich nicht auf einen Kandidaten einigen können. Heute jedoch soll es sich um einen Streit zwischen den Anhängern und den Gegnern des alten Artemidore de Broca handeln.«
»Immer noch der Kanzler!«
Salvestro Conti fügte mit verhaltener Stimme hinzu: »Solange Gott ihn nicht zu sich ruft (und man könnte glauben, dass Broca es versteht, vom Himmel vergessen zu werden), wird die Nervosität im Lateran immer weiter zunehmen. Einige Prälaten wollen sich dieser Wahl, zweifellos Artemidores letzter, bedienen, um den alten Kanzler vor aller Augen loszuwerden.«
Benedetto lächelte.
»Sind sie nicht schon wiederholt gescheitert? Die Entmachtung Artemidores ist der weiße Rabe der Kirche …«
»Das ist wahr. Aber Artemidore wird schwächer. Man sagt, dass jeder Monat, der vergeht, auf seinem Gesicht Spuren wie ein ganzes Jahr hinterlässt. Der Löwe flößt seinen Widersachern weniger Furcht ein als früher. Sie verheimlichen nicht einmal mehr, dass sie sich gegen ihn verschwören! Das Ende einer Ära scheint angebrochen. Wie dem auch sei, wenn dein Junge aus dem Lateran in diese Auseinandersetzung verwickelt ist, dann halte dich so fern wie möglich von ihm! Du kannst dort nur Prügel beziehen.«
Benedetto nickte.
»Oh, ich will nur seine kleine Schwester beruhigen …«
Salvestro Conti zuckte mit den Schultern.
»Die alten Meister haben schöne Sachen darüber geschrieben. Vergiss nicht die Geschichte von Baruch in der Bibel: Der arme Mann wollte nur Holz holen gehen für seine Familie, und dann landete er nach hundert Jahren voller Abenteuer und Kämpfe in der Hölle.«
Benedetto Gui lächelte.
»Aber die alten Helden lassen es immer schrecklich an Vorsicht fehlen. Selbst der listige Odysseus ließ sich hinters Licht führen! Bei mir besteht eine solche Gefahr nicht: Erstens habe ich nichts von einem Helden … und zweitens interessieren sich die Götter nicht für mich.«
Erst nach Einbruch der Nacht kehrte Benedetto in
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