Advocatus Diaboli
Mittelpunkt des Hospizes bildete die Abfütterung.
Ein gewaltiges Refektorium stand für die Büßer zur Verfügung. Man konnte darin elf Sprachen hören, und Christen aus aller Herren Länder strömten dort an gigantischen Tafeln zusammen.
Benedetto wanderte auf der Suche nach einer bestimmten Person zwischen den Bänken umher. Er erkannte einen Mann, der ebenfalls durch die Pilgerschar ging. Er war mit einem weiten Mantel bekleidet, aus dem er ein Sammelsurium von Gegenständen und Heilmitteln zog und feilbot, die für die erfolgreiche Durchführung einer Pilgerreise »unverzichtbar« waren: Flakons mit Jordanwasser, Kreuze aus Olivenholz, einen Balsam, der Blasen und Entzündungen heilte, ein Bildnis aus Chaldäa, das den Hunger lindern sollte, lokale Münzen, Schwefelzündhölzer und so weiter.
Dieser Straßenverkäufer aus Guyenne hieß Saverdun Brown. Er war ein braver und guter älterer Mann, der von den Pilgern geliebt wurde und sein Leben im Hospiz verbrachte. Er sprach von der Levante, als hätte er dort gelebt, dabei hatte er die Gestade des Tibers schon lange nicht mehr verlassen.
Benedetto eilte zu ihm.
»Ich suche einen Jungen namens Tomaso di Fregi, der hier arbeitet oder gearbeitet hat«, wandte er sich an ihn, indem er Zapettas Hinweise wiederholte. »Kannst du mir helfen, ihn zu finden?«
»Es gibt einen Tomaso hier«, antwortete Saverdun Brown, der das Hospiz wie seine Westentasche kannte, »er arbeitet in der Küche.«
Benedetto folgte ihm ins Untergeschoß, wo er zahlreiche Öfen, dampfende Kessel, Berge von Dinkel- und Gewürzkörnern, einen Stall mit küchenfertigem Geflügel und Bottiche für Blutwurst entdeckte: genug, um Hunderte von Männern täglich zu ernähren.
Tomaso musste in Rainerios Alter sein. Er hatte schwarzes Haar, eine dunkle Hautfarbe, einen Stiernacken und stammte zweifellos aus dem Süden. Sein Gesichtsausdruck war spöttisch.
Der Junge wunderte sich, dass jemand nach ihm suchte. Besucher waren hier unten eine Seltenheit; die anderen Köche und Küchenjungen beobachteten Gui.
»Es geht um Rainerio«, erklärte ihm Benedetto. »Seine Familie macht sich Sorgen; er ist seit sechs Tagen verschwunden. Weißt du etwas darüber?«
Der Junge wischte sich leicht verlegen mit dem Ärmel über die Stirn.
»Rainerio?«
Er warf einen Blick um sich und sah, dass aller Augen auf sie gerichtet waren.
»Wir können hier nicht reden.«
Saverdun Brown verließ sie, und der junge Mann begleitete Benedetto durch das Schlachthaus für Schweine bis zu einer Vorratskammer, in der kleine Ölfässer aufbewahrt wurden.
»Wer seid Ihr?«, fragte der Junge, als sie allein waren.
»Rainerios Schwester Zapetta hat mich aufgesucht«, erklärte ihm Benedetto. »Wenn ich sie recht verstanden habe, bist du
der einzige Mensch, der mir etwas über ihren Bruder erzählen kann.«
»Hm,hm! Wir sind zusammen aufgewachsen. Aber seit einiger Zeit haben wir kaum noch miteinander zu tun. Vor zwei oder drei Wochen kam er im Hospiz vorbei. Er unterhielt sich mit unserem Oberen. Wir haben ein paar Worte miteinander gewechselt. Ich fand, dass er mitgenommen aussah. Und verloren.«
»Verloren?«
Tomaso nickte bestätigend.
»Er murmelte mir ein paar unverständliche Dinge zu; ich habe nur begriffen, dass das Leben im Lateran in dieser Zeit des Interregnums schwierig, ja gefährlich sei, je nachdem, welchem Lager man angehörte. Das war nicht mehr der glückliche und ruhige Rainerio, den ich gekannt hatte.«
»Hast du ihn ausgefragt?«
»Dafür hatte ich keine Zeit! Er verschwand sofort wieder.«
Ein Mann trat in die Vorratskammer, ergriff ein Ölfässchen und verschwand hastig wieder, nicht ohne Tomaso zu befehlen, er solle aufhören, seine Zeit mit Palavern zu vergeuden.
Als der Junge wieder mit Gui allein war, fuhr er fort: »Ihr sucht einen Mann, dem es zur zweiten Natur geworden ist, sein Leben zu verbergen. Ich bezweifle, dass Ihr ihn finden könnt.«
Benedetto fragte verwundert: »War er so geheimnistuerisch wegen seiner Aufgaben im Lateran?«
»Nein, das liegt schon länger zurück. Es begann an dem Tag, an dem sein verrückter Nachbar sich für ihn interessierte.«
»Otto Cosmas? Der Böhme?«
»Ja. Ein seltsamer Kerl. Er verließ nie sein Haus, er sprach schlecht, fluchte in seiner Sprache, verkehrte nur mit seinesgleichen, und trotzdem vergötterte ihn Rainerio.«
»Zapetta sagte mir, er habe ihn Lesen und Schreiben gelehrt.«
Der junge Mann zuckte die Schultern.
»Keineswegs aus
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