Advocatus Diaboli
lösen, und du wärst bis nach Viterbo gegangen, um mich aufzusuchen?«
»Es war ein Mann. Ein Mann, der sich in der Nähe unseres
Hauses aufhielt. Ich habe ihn zwei Tage nach dem Verschwinden meines Bruders bemerkt. Ich kannte ihn nicht. Er sah mir an, wie verzweifelt ich war. Ich erzählte ihm von meinem Unglück, und da riet er mir, Euch aufzusuchen.«
Sie beschrieb ihm diesen Mann.
Kein Zweifel: Es handelte sich um Maxime de Chênedollé.
»Haltet die Augen auf und folgt der Spur Rainerios …«
»Ihr wollt die Nachforschungen doch nicht etwa einstellen?«, fragte Zapetta beunruhigt.
Benedetto berichtete ihr von Tomasos Enthüllungen über Rainerios Niedergeschlagenheit.
»Das ist unmöglich!«, rief das Mädchen zu dieser Behauptung aus. »Rainerio war nicht unglücklich. Im Gegenteil. Er versprach uns, dass er bald befördert werden würde, sowie er sein Gelübde abgelegt hätte, und dass wir dann mit unseren Eltern in ein besseres Haus umziehen könnten!«
Benedetto dachte, dass Rainerio wohl seinen Kummer vor seiner Familie verheimlicht hatte.
»Ich brauche mehr Zeit«, sagte er zu dem jungen Mädchen. »Wir sollten noch keine Schlussfolgerungen ziehen. Ich werde der Sache schon noch auf den Grund gehen …«
Er begleitete das Mädchen auf die Straße hinaus.
Sie entfernte sich. Er spürte, dass sie von Sorgen gequält wurde.
Benedetto blieb allein zurück und dachte an Rainerio, Otto Cosmas, Henrik Rasmussen, Maxime de Chênedollé, Tomaso di Fregi, den Tod der vier Bischöfe, an die Witwe und an den Diener …
Eine Windbö ließ das Schild über seinem Laden knarzen.
Er hob den Kopf.
BENEDETTO GUI HAT AUF ALLES EINE ANTWORT
Er zuckte die Schultern und trat ein.
IX
S ieben Tage nach seinem Aufbruch aus Cantimpré und zwölf Tage nach der Entführung Perrots betrat Pater Aba Narbonne. Seit vier Jahren hatte er keinen Fuß mehr in diese Stadt gesetzt, dennoch fand er ohne Umwege sein Ziel: Er durchquerte das Studentenviertel, passierte die Vortreppe der hebräischen Schule und schlug sodann die Richtung zum Dominikanerkonvent ein. Schließlich gelangte er zu einem Eckhaus, an dem eine Straße und eine Gasse aufeinandertrafen und das früher einmal eine baufällige Hütte gewesen war. Inzwischen hatten die Dominikaner alle benachbarten Häuser aufgekauft und ihre bescheidene Unterkunft in einen regelrechten Palast verwandelt.
Aba durchquerte einen renovierten Kreuzgang und begab sich in die Etage des Priors. Dort traf er auf einen Laienbruder, der ihm den Zutritt ins Arbeitszimmer des Oberen verwehrte.
»Pater Aba, was für eine Freude, Euch wiederzusehen!«, rief der junge Bruder aus und erhob sich. Dann blieb er abrupt stehen, erschrocken über die Narben des Priesters.
»Was ist Euch …«
»Ist Bruder Tagliaferro zu sprechen?«, unterbrach ihn Aba.
»Im Augenblick nicht. Jorge Aja, der neue Erzbischof von Narbonne, ist bei ihm. Aber sowie diese Unterredung beendet ist, wird
Euch Bruder Tagliaferro unverzüglich empfangen. Fühlt Ihr Euch wohl? Wünscht Ihr, dass ich Bruder Janvier rufen lasse? Er hat sich lange mit Medizin beschäftigt, bevor er sein Leben Gott weihte. Er könnte Eure Wunden untersuchen.«
»Nein, danke. Im Augenblick nicht.«
Aba wollte nichts unternehmen, bevor er nicht Tagliaferro das Ziel seiner Reise erklärt hatte.
Der junge Bruder sah, dass die Hosen des Priesters schlammbespritzt und sein Umhang mit Staub und getrockneter Erde befleckt waren: Er war nicht nur entstellt, sondern zudem erschöpft vom Marschieren und gepeinigt von seinen Kopfschmerzen. Der Laienbruder geleitete ihn in die Gemächer des Oberen, zu denen Aba jedes Mal Einlass gewährt wurde, wenn er seinen Freund Tagliaferro besuchte. Dieser war ein enger Vertrauter von Guillem Abas Familie und hatte acht Jahre zuvor seinen Einfluss geltend gemacht, damit Aba nach seinem Fortgang aus Paris die Pfarrei von Cantimpré zugesprochen wurde.
Der Pfarrer von Cantimpré konnte essen, was ihm beliebte, und seine Kleider wechseln. Doch er tat all das hastig und nervös.
Wie vereinbart wurde er zu Jacopone Tagliaferro gerufen, sobald dieser seinen Verpflichtungen gegenüber dem Erzbischof nachgekommen war. Der Dominikaner war etwa sechzig Jahre alt. Er war noch kräftig für sein Alter und hatte kein überflüssiges Fett am Leibe, sein Hals war stämmig, und er trug das weiße Gewand und das schwarze Skapulier seines Ordens, diese Uniform der Inquisitoren, die alle Christen erzittern ließ, welche mit
Weitere Kostenlose Bücher