Advocatus Diaboli
war.
Die Nonnen musterten gleichgültig seine Narben.
»Ich möchte alles nachschlagen, was mit Entführungen oder Entführungsversuchen von Kindern in dieser Gegend zu tun hat«, bat er.
»Welche Art von Entführung? Handel, Satanismus, Orgien? In welchem Zeitraum?«
»Alle. Die letzten zwei Jahre.«
Die Nonnen nickten und verschwanden zwischen den Regalwänden. In ihren Köpfen waren alle nur vorstellbaren Gräueltaten gespeichert, die in einer so weitläufigen Region wie dem Toulousain verübt worden waren, nichts konnte sie mehr erschüttern.
Die Mauern der Archive waren mit Regalen bestückt, und die Regale waren mit Dokumenten gefüllt, welche zwischen Lederdeckel gepresst waren. In den Gewölbekellern, die direkt in den Fels geschlagen worden und mit Eisentüren verschlossen waren, verbargen sich die brisantesten Schriften. Die zwei Frauen wirbelten mit staunenswerter Schnelligkeit und Präzision darin umher.
Zwanzig Minuten später lagen zwei dicke Bände vor Pater Aba.
Kaum hatte er zu lesen begonnen, stockte ihm der Atem.
»Vermisst in Gensac-sur-Tarn der Sohn des Gaudin Véra, welcher ein armer Mann ist und am Bettelstab geht.«
»Verschwunden in Martel die Tochter von Dubois, dem Scherenschleifer, die eines Tages am Azlou fischte und seitdem nicht mehr gesehen wurde.«
»Unauffindbar in Montauban Adélaïde de Montravel, Tochter des Vizegrafen von Carcassonne, Zeugen zufolge entführt von zwei Reitern auf der Straße von Albi.«
»Vermisst in Sabel-sur-Caux die Zwillinge des Juden Arthropode.«
»Verschwunden in Rocamadour der Sohn von Sylvain Tampis, seines Zeichens Arzt. Einigen Zeugen zufolge Ähnlichkeiten mit der Entführung von Mademoiselle Adélaïde de Montravel.«
»Entführt in Saint-Georges-la-Terrasse der Säugling von Fabienne Lepoeuvre, Messingschlägerin und Frau des Messerverkäufers Richard l’Âne.«
»Raub von Matou, Enkel von Robert Quercay, beim Verlassen der Messe in der Kirche Sainte-Françoise in Rochebrune.«
»Vermisst in Magrado die Tochter von Georget dem Bader, die aufgebrochen war, ihre Tante in Bèze zu besuchen, und seitdem nicht mehr gesehen ward.«
Et cetera.
Hier waren mehr als sechzig ungeklärte Fälle von Kindesraub und Verschwinden allein in der Provinz Toulouse aufgeführt. Beim Vergleich der Zeitpunkte wurde dem Priester bewusst, dass die Entführungen in den vergangenen zehn Monaten zugenommen hatten.
Aba segnete Bruder Janvier, ohne den er nicht imstande gewesen wäre, diese Aufzeichnungen zu lesen, weil ihn seine Kopfschmerzen niedergestreckt hätten.
Er kehrte zu Schwester Dominique und Schwester Sabine zurück, die in einer winzigen Zelle arbeiteten. Sie saßen hinter einem Tisch, auf dem sich Blätter und Pergamentrollen häuften. Die beiden Frauen bewegten ihre Arme beim Ordnen in höchster Geschwindigkeit hin und her und hielten auch nicht damit inne, um die Fragen von Pater Aba zu beantworten.
»Wurden hinsichtlich dieser verschiedenen Angelegenheiten Untersuchungen veranlasst?«
Sie bejahten, wenngleich mit Einschränkungen.
Eine von ihnen fügte hinzu: »Diese Liste enthält auch Fälle von Ausreißern, Familienstreitigkeiten und Falschaussagen.«
Aba fragte: »Gibt es Unterlagen über abgeschlossene Ermittlungen, in denen von einem regelrechten Handel mit Kindern die Rede ist? Über mehrere Entführungen, bei denen ein und dieselben Kindsräuber die Hand im Spiel hatten?«
Die Schwestern hörten mit dem Sortieren auf. Eine von ihnen ging die Tür der Zelle schließen. Ohne den Schein zweier schlanker Kanzleikerzen und eines Kaminfeuers, das mehr Wohligkeit als Wärme spendete, wäre der Raum völlig finster gewesen.
»Wir können mit Sicherheit bestätigen, dass das in den nunmehr
neunzehn Jahren, die wir in den Archiven arbeiten, zweimal der Fall war.«
»Aber das waren immer heikle Angelegenheiten«, sagte die andere, »schließlich waren hohe Herren darin verwickelt.«
»Herren?«, rief Aba aus. »Wurden sie verhaftet?«
»Verhaftet, mit Rücksicht auf ihren Stand unter Ausschluss der Öffentlichkeit verurteilt und sodann auf den Scheiterhaufen befördert«, sagte die erste Ordensfrau.
»Der Seigneur de Farcy 1271 und der Graf von Bargaudeau 1280«, ergänzte die zweite. »Ungeheuer, welche die Kinder zu Tode quälten.«
Die Nonnen hoben in bewundernswertem Einvernehmen zu erzählen an, wobei die eine den Satz der anderen vollendete. Pater Aba kam es so vor, als spräche er nur mit einer einzigen Person.
»Wir haben
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