Advocatus Diaboli
sechzig Jahre alt sein. Eigenwillige Gesichtszüge, eine im Alter erstarrte Schönheit, sehr blasse blaue Augen.
»Mein Mann ist tot«, hob sie an. »Maxime wurde heute Morgen aufgefunden, sein Leichnam lag eingegossen in eine Zementplatte auf der Baustelle unseres neuen Hauses in Rom.«
Ihre Stimme verriet keinerlei Gefühlsregung. Weder Kummer noch Zorn. Nur die Nasenflügel und die gespitzten Lippen deuteten auf ihre innere Anspannung hin.
Nachdem Benedetto seine erste Überraschung überwunden hatte, konnte er sich leicht ausmalen, was geschehen war, nachdem der Kaufmann bei ihm aufgetaucht war: Dieser hatte wohl nichts Besseres zu tun gehabt, als zu Hause einen Skandal vom Zaun zu brechen. Benedetto dachte bei sich, dass diese Ehefrau mit ihrem herrischen Gebaren durchaus einen Vorarbeiter verführt und kaltblütig die Vergiftung ihres Mannes beschlossen haben konnte, wie es die Enthüllungen des venezianischen Geheimcodes nahelegten.
Bestimmt hatte sie wegen des drohenden Skandals, der sie kompromittieren würde, mit ihrem Komplizen sein Hinscheiden beschleunigt.
»Und nun«, setzte sie hinzu und hob dabei das Kinn, »werdet Ihr mir sagen, Benedetto Gui, was mein Mann Euch anvertraut hat.«
Benedetto nickte. Seine ersten Worte lauteten: »Euer Gemahl kam zu mir, um mir geschäftliche Dokumente zu zeigen, die ihn mit einem venezianischen Lieferanten verbinden.«
»Das weiß ich! Ich habe vor meinem Kommen Einsicht in sie genommen.«
Benedetto sah zu dem Diener: Offenbar hatte dieser die Unterredung mit Chênedollé bereits in allen Einzelheiten ausgeplaudert.
Die Witwe legte ihre Hände flach auf die Schenkel.
»Das Problem ist, dass mein Mann nie mit wem auch immer in Venedig geschäftlich zu tun hatte. Dieser Händler existiert nicht
einmal dort! Ich kenne die Unternehmungen meines Gemahls; sie haben nirgendwo mit Importen aus dem Orient zu tun.«
Benedetto runzelte die Stirn.
»Was sagt Ihr da?«
Sie fuhr fort:
»Hat er Euch auch weisgemacht, er habe Mätressen, besitze zahlreiche Kinder und schreibe Gedichte? Das alles ist ebenso falsch. Maxime war ein zurückhaltender und treuer Mann, leider ohne Erben. Er sollte Gedichte reimen? Er war unfähig, zwei Verse korrekt aneinanderzureihen. Und schließlich, trotz der chiffrierten Dokumente, die er Euch vorgelegt hat - und deren Motiv ich mir nicht erklären kann -, glaubt mir, dass ich keinerlei Grund hatte, meinen Mann mit Bilsenkraut zu vergiften und dass ich mich niemals auch nur im Geringsten zu seinem Vorarbeiter Quentino hingezogen fühlte!«
Ihre Stimme war schneidend geworden.
Benedetto musste zugeben, dass er ihr aufs Wort zu glauben bereit war, dennoch fragte er weiter: »Was also von den Angaben Eures Gatten entspricht überhaupt der Wahrheit?«
Die Frau zögerte. Gui spürte ihren Zorn darüber, dass sie sich diesem Unbekannten gegenüber zu Erklärungen genötigt sah.
Bedächtig erklärte sie, während ihre Augen Gui fixierten: »Maxime Chênedollé war ein sehr vermögender Händler und Geldgeber. Viele Male lieh er hohen Herren, die für den Papst Partei ergriffen hatten, sowie der Kanzlei des Laterans beträchtliche Summen. Mein Mann hatte nie Grund zur Klage über seine Schuldner. Bis zu den letzten Monaten. Maxime war beunruhigt über die lange Zeit, die die Wahl des neuen Papstes erforderte, und äußerte der Kanzlei gegenüber die Absicht, er wolle alte, nicht eingelöste Wechsel geltend machen. Ich weiß nicht, welche Antwort er erhielt, aber es war nicht die, die er erhofft hatte: Sein Vertrauen in seine Verbündeten in der Kurie schwand dahin. Mein Gatte wurde zu einem
sorgenvollen, misstrauischen, gejagten Mann, der sich sogar vor seinen engsten Mitarbeitern fürchtete. Das ging so weit, dass er Rom und den Kirchenstaat verlassen wollte. Unser beider geheime Abreise stand unmittelbar bevor. Dann freilich suchte er Euch auf, um Euren Rat einzuholen, und in der folgenden Nacht kam er ums Leben. Daher frage ich Euch noch einmal: Was wollte er?«
Benedetto hörte sich fassungslos diese Enthüllungen von Chênedollés Witwe an. Ihre Direktheit war entwaffnend; er wusste nicht, was er von ihr halten sollte. Er dachte einen Augenblick nach, bevor er antwortete: »Signora, ich empfange hier alle erdenklichen Arten von Menschen. Oftmals hoffen sie, dass ich peinliche Angelegenheiten für sie aus der Welt schaffe, die sie vor ihren Geschäftspartnern oder ihren Familien verheimlichen. Dabei genieße ich nicht von vorneherein ihr
Weitere Kostenlose Bücher