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Advocatus Diaboli

Titel: Advocatus Diaboli Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Romain Sardou Hanna van Laak
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den Lehren der Kirche in Widerstreit lagen.
    Sein Arbeitszimmer bestand aus einem langen Tisch, auf dem sich Codices, Rollen und Pergamente stapelten. In seiner Reichweite befanden sich ein Sandstreuer zum Trocknen der Tinte, heißes Wachs für die Siegel sowie Stempel und Kerzen, von denen das Harz tropfte. Der Prior saß an einem Ende des Tisches, und
sein Blick ruhte auf den letzten Neuigkeiten, die seine Predigerbrüder ihm zugetragen hatten.
    Tagliaferro fuhr hoch, als er das Gesicht Pater Abas erblickte. Dieser war sofort nach seinem Eintreten auf ihn zugestürzt, um die Kordel seiner Kutte zu küssen.
    Aba sah aus wie der gemarterte Jesus.
    »Oh Gott!«, rief der Dominikaner aus.
    Er bat ihn, Platz zu nehmen.
    »Lass mich dich ansehen.«
    Er hob die Binde des Priesters hoch und wich unwillkürlich zurück, als er sah, wie furchtbar das Auge durch die getrocknete Wunde entstellt wurde.
    »So kannst du nicht bleiben«, urteilte er. »Deine Wunde muss versorgt werden. Was ist dir widerfahren?«
    Pater Aba erzählte ihm, was sich an jenem tausendfach verfluchten Morgen in Cantimpré zugetragen hatte.
    Tagliaferros Gesicht verfinsterte sich.
    »Ich habe befürchtet, dass in dieser Pfarrei eines Tages ein Unglück geschehen würde! All diese unerklärlichen Wunder …«
    Tagliaferro blieb taub für die Einwände des Priesters und ließ auf der Stelle nach Bruder Janvier schicken.
    Pater Aba fand sich in den Händen dieses ehemaligen Kolonisten aus der Levante wieder, einem beleibten, überaus umgänglichen kleinen Mann, der die ärztliche Kunst von einem Araber gelernt hatte, an dessen Seite er den christlichen Armeen gefolgt war. Niemals hatte ein Chirurgenlehrling so viele Leichen zur Auswahl gehabt, die er in aller Ruhe sezieren konnte!
    Bruder Janvier befand, dass der Bader von Cantimpré ordentliche Arbeit geleistet hatte.
    »Jetzt muss man das tote Auge unverzüglich entfernen«, sagte er. »Im knöchernen Hintergrund der Augenhöhle verdichten sich Abszesse. Es ist ein Wunder, dass Ihr Euch bei einem solchen
Wundschmerz noch auf den Beinen haltet und nicht vor Schmerzen auf dem Boden wälzt.«
    »Ich habe Cantimpré verlassen, bevor Pasquier seine Behandlung beenden konnte.«
    Noch am selben Tag entfernte Bruder Janvier auf Anordnung seines Vorgesetzten, wenn auch unter Verletzung der Vorschriften, die das Konzil von Tours gegen die Chirurgie erlassen hatte, Guillem Abas Auge.
    Seine Schreie waren bis auf die Straßen von Narbonne zu hören.
     
    Drei Tage später suchte Tagliaferro ihn in seinem Zimmer auf. Er zeigte sich befriedigt über Abas Allgemeinzustand. Aba hatte sich erholt, seine Züge waren gelöster, und sein Gesicht hatte wieder ein wenig Farbe gewonnen.
    Der junge Priester musste zugeben, dass seine schrecklichen Kopfschmerzen endlich aufgehört hatten.
    Sein Zimmer bei den Dominikanern war verschwenderisch geschmückt. Das Knistern eines dicken Holzscheits im Kamin tröstete ihn über den Blick auf die Straßen der Stadt hinweg, den das Steinkreuzfenster vom Bett aus gewährte: Es schneite, und die Luft war eiskalt, der Himmel schwarz.
    »Ich habe mich erkundigt«, begann Tagliaferro. »Die zwölf schwarz gekleideten Söldner, die dich angegriffen und Perrot entführt haben, wurden in letzter Zeit nirgendwo sonst in der Region gesehen. Die Beschreibung, die du mir gegeben hast, erinnert nur an den Fall der Ermordung eines Bischofs in Draguan. Mehr wissen wir nicht darüber.«
    Pater Aba wies auf die Gros tournois hin, die Silbermünzen, die sie in der Herberge von Disard hinterlassen hatten.
    »Sie können im Sold jedes x-beliebigen Herrn stehen! Ihr glaubt nicht, dass die Kirche insgeheim die Hand im Spiel hat?«, fragte er den Dominikaner.

    Der Prior schüttelte den Kopf.
    »Die Kirche? Nein. In dieser Gegend geschieht nichts ohne unser Wissen. Und außerdem ist über den Fall deines Dorfes noch immer nicht entschieden worden. Warum also sollte man es auf Cantimpré abgesehen haben?«
    Schon nach den ersten Wundern vor acht Jahren hatte Montseigneur Beautrelet, der Bischof von Cahors, sich höchstpersönlich und in Begleitung eines zahlreichen und hochrangigen Gefolges in die Pfarrei begeben. Er hatte Cantimpré zu seiner guten »Gesundheit« beglückwünscht, ohne sich weiter über die Wunder auszulassen. In seinen Augen gab es keinerlei Teufelei, keinen verdächtigen Götzen, weder Fruchtbarkeitsriten noch Beschwörungs- oder Verzauberungsrituale. In einem vorläufigen Dekret hatte das

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