Advocatus Diaboli
er seine Nachricht Bischof Beautrelet am besten zukommen lassen konnte, hörte er, wie an die Tür des Pfarrhauses geklopft wurde.
Mit einer Hand griff er nach seinem Kreuz. Mit der anderen packte er ein langes Messer. Die erlittenen Brandwunden und Schläge hatten ihn in einen Zustand permanenten Fiebers versetzt, zugleich nährte das Gefühl, alleine inmitten einer verrückt gewordenen Gemeinde zu sein, seine Angst.
Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt breit.
Auf der Schwelle wartete eine Frau: Esprit-Madeleine. Perrots Mutter.
Wie ihr einziger Sohn so hatte auch sie tiefblaue Augen und blonde Haare. Esprit-Madeleine war schön, gesund und kräftig, doch ein Geburtsfehler ließ sie hinken.
Sie bat um Einlass.
Augustodunensis ließ seinen Blick misstrauisch umherwandern, um zu sehen, ob Esprit-Madeleine in Begleitung war oder ob jemand sich hinter ihr verborgen hielt. Doch die Straßen von Cantimpré waren menschenleer.
Der Vikar wich zur Seite und ließ die Frau vorbeigehen. Einen langen Moment verharrte sie schweigend, aufrecht und
bewegungslos, mit verschränkten Händen stand Esprit-Madeleine vor Augustodunensis.
Schmerz und Schlafmangel hatten ihrer Schönheit kaum Abbruch getan, sie hatte sich eine Anmut bewahrt, die auf der vollkommenen Harmonie ihrer Gesichtszüge beruhte. Der Vikar stellte fest, dass seit dem Tag kurz vor Abas Verschwinden, als er sie zuletzt gesehen hatte, wieder ein Lebensfunken in ihre Augen zurückgekehrt war.
Sie blickte ihn mit der Autorität einer Mutter an, ruhig, aber entschlossen.
Er rief sich ins Gedächtnis, dass sie in keiner Weise an der mörderischen Hetzjagd auf ihn teilgenommen hatte.
»Ihr müsst die Exkommunikation wieder aufheben«, sagte sie mit sanfter Stimme zu ihm. »Ihr handelt, ohne zu wissen, Bruder Augustodunensis. Ihr seid erst zu kurze Zeit unter uns.«
»Genug, wie mir scheint, um zum Scheiterhaufen verurteilt zu werden!«
Esprit-Madeleine ließ ihren Blick über das Kreuz und das Messer wandern, die der Mann in Händen hielt. Verlegen ließ dieser die Waffe auf den Tisch sinken.
»Ihr müsst mir zuhören«, fuhr die Frau fort. »Doch zuerst versprecht mir, dass Ihr Euren Bann überdenkt, sobald Ihr die Wahrheit über Cantimpré kennt. Die Gläubigen unseres Dorfes verdienen es nicht, ihres Gottes und ihrer Kirche beraubt zu werden. Sie sind unglücklich, ihre Gemüter sind von Kummer und Angst verzehrt. Ich flehe Euch an, hört mich offenen Herzens an. Versprecht Ihr das?«
»Redet«, antwortete Augustodunensis.
»Versprecht Ihr es?«, beharrte die Frau. »Was ich mich Euch zu sagen anschicke, ist ein Geheimnis, das ich für immer zu bewahren schwor, und sei es um den Preis meines Lebens. Wenn ich heute mein Wort brechen muss, dann soll es wenigstens die armen
Seelen von Cantimpré retten. Wenn Ihr es nicht versprecht, werde ich meinen Eid nicht brechen.«
In ihrer Stimme lagen weder Drohung noch Ungeduld, sondern vielmehr eine Schlichtheit und Gelassenheit, die höchste Forderungen rechtfertigten.
»Ich verspreche es«, hörte sich Augustodunensis sagen, bezwungen von der Frau, die sich in seinem Beisein weit gewählter ausdrückte als den Dorfbewohnern gegenüber.
Esprit-Madeleine setzte sich an den großen Tisch des Pfarrhauses und begann ihre Erzählung.
»Die Furcht vor inzestuösen Ehen in kleinen, abgeschiedenen Dörfern zwingt die Männer dazu, aufzubrechen und fern ihrer Heimat nach einer Ehefrau zu suchen. So erging es auch meinem Mann Jerric vor acht Jahren. Da er ein unansehnlicher Mann ohne große Fähigkeiten oder Vermögen ist, musste er weiter nach Norden ziehen als die anderen. Keine Frau wollte etwas von ihm wissen. In Limoges begegnete er mir, ich hatte Paris verlassen und war auf der Reise nach Périgueux. Jerric war trotz meiner Armut und ungeachtet meiner Missbildung sehr gut zu mir. Er kümmerte sich nicht um den Spott, der mir im Vorübergehen entgegenschallte, und hatte die Güte, mich unter seinem Dach aufzunehmen und mich zu lieben. Als mich jedoch die Bewohner von Cantimpré erblickten, wollten auch sie mich davonjagen, denn es brachte sie auf, eine Missgebildete unter sich zu haben. Nur war ich damals schwanger … Perrot wurde geboren, und er war die erste wundersame Geburt von Cantimpré. Danach mehrten sich dank ihm die Wunder im Dorf …«
Augustodunensis runzelte die Stirn.
»Dank Perrot?«
Esprit-Madeleine bejahte mit einer langsamen Bewegung des Kopfes.
»Ihr seid erst zu kurze Zeit im Dorf,
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