Advocatus Diaboli
des Waldwegs auf, wo er im Schnee hingestreckt lag. Er war blass, entkräftet und unfähig, auf die Beine zu kommen; ohne den Spürsinn der Tiere wäre er bald nach Einbruch der Nacht unter diesen Buchen Mährens, etwa zehn Meilen südlich von Olmütz, umgekommen.
Der Fremde reagierte weder auf die hin und her springenden Hunde noch auf die wiederholten Anrufe des Jägers, einem Hungerleider von etwa sechzig Jahren mit grauem Bart und grauen Augenbrauen, der mit einem pelzgefütterten Mantel und einer großen, mit Dachspelz verbrämten Mütze bekleidet war. Er trat vorsichtig näher.
Der Verletzte war ein großer, hagerer Mann von etwa zwanzig Jahren. Er trug nichts weiter als ein gefüttertes Wams und einen Umhang aus schwarzer Wolle. Seine abgetragenen, staubigen und schlammbespritzten Kleider zeigten, dass er seit Tagen unterwegs war. Er lag auf der Seite, schwitzte, zitterte gleichzeitig vor Kälte und murmelte unverständliche Sätze. Der Jäger half ihm aufzustehen und führte ihn mühsam auf den Weg zurück.
Der Alte zog eine lange Leinenstoffbahn hinter sich her, auf der
sein Bogen, sein Köcher und ein toter Fasan lagen, den er erlegt hatte. Er vergrub seine Beute unter dem Schnee und breitete stattdessen den Verletzten auf dem Stoff aus, dann zerrte er seine Last auf den nächsten Weiler zu. Das mit Hammeltalg eingeriebene Leinen glitt nur mühsam dahin.
Er brauchte eine halbe Stunde, bevor die ersten Dächer von Víska vor ihm auftauchten. Die Häuschen waren aus Stein gebaut, bis zur Hälfte in die Erde eingegraben und mit Torf gedeckt. Dicht gedrängt bildeten sie einen Kreis um eine kleine, gerodete Fläche mitten im Wald. In den Wipfeln hatten die Dorfbewohner Baumhäuser errichtet, die durch Seilbahnen miteinander verbunden waren und von denen aus sie streunende Wolfsmeuten töten oder verjagen konnten.
Man bereitete dem Kranken ein Lager unter dem Dach des alten Jägers, dessen Name Marek war. Er und seine Frau Svatava zogen ihm die durchnässten Kleider aus und deckten ihn mit einem rauen Laken und Tierfellen zu.
Die Ankunft des Unbekannten sorgte für helle Aufregung im Dorf. Einer nach dem anderen verließen die Bewohner ihre Behausungen, manche neugierig, manche beunruhigt, wieder andere wollten sich nützlich machen, um sein Leben zu retten. Der Mann zitterte unaufhörlich, obwohl er nahe ans Feuer gebettet war.
War er krank? Ansteckend?
Kaum war die Frage gestellt, wagte niemand mehr ihn anzufassen.
War er ein Dieb?
Er hatte nichts bei sich.
Ein Vagabund?
Er war nicht bewaffnet.
Sollte man den Burgvogt benachrichtigen oder den Priester um Hilfe bitten, der in der Nachbargemeinde sein Amt ausübte? Die Furchtlosesten unter den Zuschauern bekreuzigten sich, andere
machten das Zeichen der Teufelshörner. Einer von ihnen meinte, dass man den Unbekannten in den Wald zurückschaffen und sich selbst überlassen sollte.
Svatava beriet sich mit den Frauen des Dorfes; sie beschlossen einmütig, die Wahrsagerin Gáta zu Rate zu ziehen, die als Einzige imstande sein könnte, etwas gegen die durch Auskühlung verursachten Leiden des Fremden auszurichten.
Ein junger Mann lief in die Wälder, um sie zu verständigen. Eine knappe Stunde später traf eine alterslose Frau in Víska ein. Sie war mit einem Umhang aus schwarzem Rosshaar bekleidet, und ihr langes, silbriges Haar wallte bis zum Unterleib herab. Das ganze Dorf drängte sich innerhalb und außerhalb von Mareks und Svatavas Haus zusammen. Die Menge teilte sich, um die Hexe passieren zu lassen. Sie ging zu dem Verletzten und musterte ihn prüfend. Dann schloss sie ihre Augen halb und ließ ihre Hände mit zum Himmel gewandten Handflächen über seine feuchte Stirn schweben und sagte: »Ihm stehen noch weitere Jahre zu …«
Sogleich malte sich Erleichterung auf den Gesichtern der ungefähr fünfzehn Personen ab, die das Zimmer füllten. Sie wussten, was Gáta mit dieser rätselhaften Behauptung meinte: Viele Male hatte sie ihnen erklärt, dass jedem Mann und jeder Frau von Gott eine bestimmte Zahl von Lebensjahren zugeteilt war. Wenn sie aufgrund eines Unfalls oder als Opfer eines Verbrechens vor ihrer Zeit starben, dann irrten ihre zu früh von der körperlichen Hülle befreiten Seelen bis zu der ihnen bestimmten Zeit auf der Erde umher. So erklärte Gáta die unbestreitbare Existenz von Geistern. Schon mehrmals hatte sie sich geweigert, jemanden zu behandeln mit der Begründung, seine Zeit sei abgelaufen und der Tod könne ihm nichts
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