Aelter werden ist viel schoener als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten - Neues aus der Lebensmitte
sich überraschend krank gemeldet– »Burn-out! Die Kollegen sagen es nur nicht so offen.«
Ich ergriff dann, allerdings erst nach 20 Minuten, das Wort und erzählte Theresa von personellen Wechseln in der Redaktion, meinem Hexenschuss– »Wandern geht erst mal nicht am Wochenende.«– und dem erschreckenden Arbeitspensum meines Sohnes– »Die haben heute eine 38 -Stunden-Woche, die Hausaufgaben noch nicht eingerechnet.« Ich kam eher kurz zu Wort. Dachte ich. Doch beim Blick auf die Wanduhr wurde ich objektiv eines Besseren belehrt, denn auch mein Vortrag hatte sich deutlich über die zulässigen 15 Minuten ausgedehnt.
»Ein bisschen Kontrolle durch die Technik ist gar nicht so schlecht«, erkläre ich und nippe am griechischen Hauswein, den man irgendwie herunterbringen muss. »Ich sage nur: Wanduhrprinzip!«
Ich habe meinen Telefonerfahrungsbericht ausführlich gehalten, schließlich geht es um neue Techniken in Frauenfreundschaften. Mir ist nicht entgangen, dass Suse öfter mal abwesend war und den Blick zum Wasser schweifen ließ. Dort treiben gerade leere Getränkedosen mit kyrillischer Aufschrift vorbei. Auch ein halber Kleiderschrank schwimmt im Fluss. Was erstaunlich ist, normalerweise fischen die so was schon raus. Zumal die Spree wirklich langsam fließt durch Berlin, mit nur ein paar Zentimetern pro Sekunde. Der Fluss wirkt heute recht brackig.
»Also das Wanduhrprinzip passt doch gar nicht mehr in die Zeit«, sagt Suse und zieht die Augenbrauen hoch. Sie hat ihr Gyros erst halb aufgegessen und schiebt den Teller mit dem fettigen Fleisch und den Reisnudeln zur Seite. Macht sie wieder eine Phase des Kalorienzählens durch? In letzter Zeit ist sie etwas runder geworden, wie wir alle über 50 . Ich sage dazu jetzt nichts. Beim Italiener hätten wir mehr Auswahl gehabt, auch an Salaten.
Elektronische Monologe
»Heute läuft die meiste Kommunikation doch über E-Mail«, fährt Suse fort. »Genau betrachtet telefoniere ich eigentlich nur noch mit Doris ausführlich. Bei vielen Freundinnen schicke ich lieber eine Mail, da weißt du dann, dass du sie damit nicht störst. Du schreibst einfach so vor dich hin und drückst dann auf ›senden‹.« E-Mails seien wie ausgetauschte Monologe. Wenn sich die andere nicht dafür interessiere, brauche sie nur flüchtig drüberzulesen. Man schicke sich sozusagen gegenseitig seine Ergüsse zu. »Ist die perfekte Kommunikation unter Frauen«, behauptet Suse.
Ich schaue betreten auf meinen Krautsalat. Suse hat mir den Wind aus den Segeln genommen. Sie hat ja Recht. E-Mails zu schicken erspart uns manche Risiken, die sonst die Kontakte zu hochsensiblen Freundinnen empfindlich stören könnten. Sätze wie: »Du, ich habe jetzt gerade keine Zeit«, oder: »Fass dich bitte kurz, ich muss gleich weg«, die beim Gegenüber leicht den Eindruck erwecken können, wir interessierten uns nicht für sie oder jedenfalls nicht im gleichen Maße wie umgekehrt, solche Sätze fallen nicht mehr, wenn man sich E-Mails schreibt. Und auch beantwortet.
Wobei ich neulich mit Theresa die mulitmediale Variante praktiziert habe: Während mir Theresa am Telefon davon berichtete, dass ihre Craniosacral-Therapeutin vielleicht doch nicht die Richtige sei– »Die spür ich überhaupt nicht, das ist ja nur teuer bezahltes Handauflegen«–, schaute ich nebenbei in meine E-Mails. Ich beantwortete eine Mail von Britt, während Theresa am Telefon gerade bei ihren Problemen mit der hormonell bedingten Gesichtsbehaarung angekommen war.
Doch dann machte ich den Fehler, den Computer anschließend runterzufahren. Theresa hörte durchs Telefon das leise Gongsignal. »Hast du eben etwa die ganze Zeit deine E-Mails abgerufen?«, fragte sie entgeistert. Ich verneinte. Man darf notlügen, um Kränkungen zu vermeiden. Das machen die Chinesen dauernd, für die sind Lügen eine »List«, was ich für eine nützliche Sichtweise halte. Im Nachhinein würde ich es aber als stillos bezeichnen, zu telefonieren und dabei Mailverkehr zu betreiben.
»Ich meine nicht nur Telefonate, wenn ich vom Wanduhrprinzip rede«, erkläre ich Suse. »Diese Regel sollte man auch auf das Gespräch von Angesicht zu Angesicht anwenden. Der Live-Dialog unter Frauen sollte genauso ausgewogen sein. Logisch.« Ich habe nicht vor, Suse das Feld zu überlassen. Es stört mich, dass sie sich so souverän gibt und mir dabei auch noch den Müll von Doris zugeschoben hat.
Vielleicht ist es ein Problem, dass wir beide eher der dominante Typ
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