Aelter werden ist viel schoener als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten - Neues aus der Lebensmitte
machen, erzählte mir Britt. Denn Flugpassagiere kriegen erst recht Angst, wenn sie glauben, neben einer Verrückten zu sitzen.
Die Klopfmethode hat sie mir auch schon empfohlen, aber ich zähle lieber von 400 rückwärts in Siebener-Schritten, wenn das Flugzeug anfängt zu wackeln. Den Tipp habe ich aus einer Zeitschrift, und diese Ablenkung funktioniert bei mir immer.
Zwei Männer mittleren Alters betreten gerade das Restaurant, in teuer aussehende Bademäntel gehüllt. Sie setzen sich an unseren Nebentisch zur Linken. Der Dickere trägt eine dunkelrandige Brille. Wahrscheinlich sind es Geschäftsleute, die eine Anti-Burn-out-Woche gebucht haben.
»Ayurveda mag auf Suggestionen beruhen«, sage ich, vielleicht etwas lauter als unbedingt nötig. »Aber Suggestionen gibt es überall. Auch unsere Gesellschaft ist voll davon.«
Die Männer werfen uns Blicke zu, ich habe den Eindruck, sie schauen interessiert. Ich bin mir allerdings nicht sicher, denn ich habe meine Gleitsichtbrille nicht auf. Der Dünnere hat graue Schläfen, wie die männlichen Models aus dem Werbeprospekt für das Medical Center. Vielleicht sind sie wegen des Check-ups hier zur Risikokalkulation für Burn-out, Schlaganfall, Herzinfarkt und Depressionen.
Im »Sonnenhof« haben sie gegenüber der Ayurveda- und Yogaabteilung ein sogenanntes »Medicalcenter«, das jeden Eindruck von Esoterik zu vermeiden sucht. Während auf den Fotos für die anderen Abteilungen Frauen mit vergeistigtem Blick und Handtüchern um den Kopf in irgendwelchen Ölbädern liegen oder in langen Gewändern durch den Gewürzkräutergarten des Sonnenhofs wandeln, tritt das Medical Center durch und durch technisch auf. Auf den Werbefotos sind nur männliche Models zu sehen. Einer liegt bäuchlings auf einer Liege, mit muskulösem Oberkörper, ein Handtuch um die Hüften geschlungen. Ein zweiter Herr mit grauen Haaren sitzt auf einem Fahrrad. Dahinter steht ein Mann im Arztkittel mit Stethoskop um den Hals, jede Menge Monitore sind im Hintergrund zu sehen. Nur die Assistentin auf dem Foto ist natürlich weiblich und blond.
Zum »Basis-Check-up Plus« für 800 Euro sitzt man auf dem Fahrrad und strampelt, eine Atemmaske vor dem Gesicht, von der zwei Schläuche wegführen. Auf der Brust sind Elektroden befestigt. Im Rahmen der »Spiroergometrie« werden das Atemminutenvolumen und der respiratorische Quotient gemessen. Der Arzt piekst eine Fingerkuppe an, um etwas Blut abzunehmen und den oxidativen Status zu erkunden, der etwas über die Konzentration der freien Radikale im Blut aussagt.
Wenn wirkungslose Substanzen doch wirken
Es folgt eine lichtoptische, strahlenfreie 3 -D-Wirbelsäulenvermessung. Auf Wunsch fährt der Doktor auch noch mit einer Art Sensor-Maus an der Wirbelsäule entlang. Im Medical-Center gibt es einen Fitnessraum und ergänzend im Sonnenhof-Restaurant die »Medical-fit-Gerichte«, meist irgendwas mit Gemüse oder Salat und Putenfleisch.
Wellnesshotels hätten allerdings Imageprobleme mit diesem Doppelkonzept aus Technikwahn und Esoterik, hat mir Suse mal erklärt. Viele Gäste in diesen Häusern sind ältere Frauen, die sich für Spirituelles interessieren. Manager, die man für eine Anti-Burn-out-Woche gewinnen will, würden jedoch durch reife Frauen in bunten Seidengewändern mit Malas um den Hals abgeschreckt.
Die Männer hier im Restaurant wirken dagegen recht zugewandt. Sie mustern uns, soweit ich das ohne meine Sehhilfe erkennen kann. »Vielleicht beruht vieles im Ayurveda auf Einbildung«, sage ich. »Aber Illusionen gibt es in der Schulmedizin genauso.« Ich habe einen wissenschaftlichen Ton angeschlagen. Wir sind ja schließlich keine Esoteriktanten.
Mein Bekannter Frank, ein Allgemeinarzt, hat mir erklärt, wie wichtig Placebos für ihn sind, also Medikamente, deren Substanzen in klinischen Tests wirkungslos sind, mit denen sich die Patienten aber trotzdem besser fühlen. »Nimm mal die Frauen mit Wechseljahrbeschwerden«, schilderte Frank. »Die kommen, haben Hitzewallungen und Schlafstörungen. Hormone wollen sie nicht wegen der Nebenwirkungen. Aber sie erwarten von mir einen Rat, irgendeinen. Da sage ich, sie können es ja mal mit Soja-Isoflavonen versuchen. Und dann hoffe ich, dass sie nicht irgendwelche Wirksamkeitsstudien dazu lesen. Denn da ist nichts wirklich nachweisbar.«
Die Frauen gehen los, kaufen sich die Kapseln und fühlen sich ein wenig besser. Schließlich haben sie was für sich getan. Ayurvedatees, Bachblüten,
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