Aelter werden ist viel schoener als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten - Neues aus der Lebensmitte
und Kasseler kannst du viel auslösen im Kopf.«
Das Sauerkrautritual
Britt hat das Sauerkrautritual erfunden. Es sei ein multisensorischer Weg, um wieder in ihre Kindheit einzutauchen.
Für das Ritual kauft Britt im Supermarkt Kasseler mit Sauerkraut und Kartoffelpüree, als Fertiggericht. Den Plastikteller erhitzt sie in der Mikrowelle, schüttet Kasseler, Sauerkraut und Püree auf einen Porzellanteller, setzt sich damit vor den Fernseher und schaut sich auf DVD die Serie »Lassie« an, aus den 60 er-Jahren. Ein treuer Hund, ein Kind, das keinen Vater hat, aber trotzdem ein aufregendes Leben. Diese Zusammenstellung versetze sie in ihre Kindheit zurück, schwärmt Britt. Da könne sie innerlich abschalten.
Ich habe das Sauerkrautritual auch schon mal probiert, als die Familie verreist war und ich mich einsam fühlte. Ich wandelte es allerdings leicht ab: Statt »Lassie« legte ich »Fury« ein zum Kasseler mit Sauerkraut. Das war früher meine Lieblingsserie, mein Sohn David hatte mir eine Staffel auf DVD geschenkt. Es wurde ein gemütlicher Abend mit mir selbst.
»Die selbst gemachten Rituale sind die besten«, verkündet Britt. »Wunderlich zu werden ist ein schönes Privileg des Alters«, seufzt Suse. Das Paar mit den Bananenblättern auf dem Kopf zahlt und geht. Die beiden werfen uns zum Abschied mitleidige Blicke zu. Vier Frauen um die 50 in einem Wellnesshotel und führen hochtrabende Diskussionen. Wahrscheinlich können wir nicht entspannen, weil zu viel Pitta-Energie über unseren Tisch wabert.
Die beiden Männer in Bademänteln stehen auch auf und kommen zu uns rüber. Der eine hat einen Ring im Ohr, erkenne ich aus der Nähe. So richtig nach Wirtschaftsleuten sehen sie eigentlich doch nicht aus. Die dunkelrandige Brille des Dicken hat mich getäuscht. Die Haare sind etwas zu lang und zu gegelt. Die Männer tragen auch keine Bademäntel, sondern eher lange Kimonos. Das nächste Mal sollte ich im Restaurant meine Gleitsichtbrille tragen, ich eitle Nuss.
»Seid’s ihr Psychologinnen?«, fragt der eine in seifigem Tonfall. Das Duzen stört mich. »Vier schöne Frauen und trotzdem immer am Diskutieren«, meint der andere noch seifiger, leider der, der so gut aussah von Weitem. Ich hasse dieses selbstgefällige George-Clooney-Lächeln an Männern. Für was hält er sich? Die George-Clooney-Kopie fasst in die Tasche seines Zuhälterkimonos und holt vier Visitenkärtchen und einen Flyer heraus. »Shanti Bachhuber lädt ein zu Meditationsreisen« steht auf dem Flyer mit seinem Konterfei.
Meditationskreuzfahrten »unter spiritueller Führung« auf einem »überschaubaren, komfortablen Schiff ohne Schnickschnack« bieten die beiden an. Auf einer Kreuzfahrt um die griechischen Inseln sollen sich die Teilnehmerinnen in Versenkungen üben zu Sonne, Meer und Wind– ein »einzigartiges Erlebnis«. Deswegen sind die beiden Männer also hier im Sonnenhof. Wir sind garantiert nicht die ersten Frauen, die sie als Kundinnen gewinnen wollen. Geschickte Akquise. Arm sehen wir nicht aus, und wir sind ältere Frauen mit Bildung, das haben wir laut genug raushängen lassen. Genau ihre Zielgruppe.
Selbst gemachte Suggestionen sind die besten
Draußen auf dem Meer zu meditieren sei schon was anderes als hier im Hotel, erklärt uns George Clooney alias Shanti Bachhuber. Man käme ganz anders bei sich an und ließe das Verkopfte an Land zurück. Zu viert gäbe es auch Rabatt. Britt bedankt sich höflich. Lise verspricht, sich mal zu melden beim Shanti. Suse und ich murmeln etwas Unbestimmtes. »Ich dachte, das sind Geschäftsleute«, sage ich, als die beiden verschwunden sind. »Das sind sie doch auch«, zischt Suse.
Doch fürs Meditieren zahle ich nicht. Die selbst gemachten Suggestionen sind billiger. Ich übe zweimal in der Woche Yoga bei Zitronenduft aus der Aromalampe– »Leichtyoga«, wie Britt zu meiner Variante des »Hund« sagt. Ich meditiere jeden Morgen vor der Arbeit zehn Minuten und manchmal trinke ich zur Entspannung abends ein Glas Milch mit Honig. Hinzu kommen Sauerkraut- oder Currywurstregressionen, je nach Bedarf. Das genügt.
Mit Britt sollten wir heute Abend noch über ihre Produktidee sprechen. Sie braucht Geld, die Kurse an der Volkshochschule laufen schlecht, ihre Witwenrente ist klein und ihre Rücklagen schmelzen. Britt überlegt, in Plüschbären Wärmflaschen einnähen zu lassen und diese dann als »Wärmebär für Erwachsene« zu verkaufen. Ich habe ihr von der Umfrage einer britischen
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