Aelter werden ist viel schoener als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten - Neues aus der Lebensmitte
auf einem von Großtante Zillys Campinghockern, ich nehme ihm ein gewisses Durchhaltevermögen ab. Sich auf den Boden zu hocken erscheint mir zu riskant. Blasenentzündung. Ich bin nicht mehr die Jüngste.
Winfried hat den Gaskocher auf einen kleinen Tisch gestellt und entfacht die Flamme. Britt hat ihr Reisekochbuch mitgebracht, nach dessen Rezepten sie auch manchmal in ihrem Atelier in Berlin Speisen zubereitet. In dem Kochbuch erfährt man, wie man Ragout und Risotto kocht, wenn man nur eine Flamme zur Verfügung hat.
Die Autorin ernährte sich mit diesen Rezepten auf ihren monatelangen Wohnmobilreisen durch Afrika. Nicht nur Mangold, Auberginen und Knoblauch, sondern auch Tomatenmark aus der Dose, Corned Beef, Dauerwurst und Brühwürfel spielen im Outdoorleben eine wichtige Rolle. »Selbstversorgung auf Reisen sollte nicht mit dogmatischen Vorstellungen besetzt sein«, heißt es in dem Buch. Mit irgendwelchen Dogmen wollen auch wir uns nicht belasten auf unsrer Testreise ins späte Hippietum.
»Eigentlich hätte man nach Italien sogar trampen können«, behauptet Britt. »Daumen raus und schauen, wer uns noch mitnimmt. Dann wäre es noch billiger geworden.« Ich bin das letzte Mal in den Alpen getrampt. Unfreiwillig, mit 52 Jahren. Ich hatte nach einer Wanderung den örtlichen Bus verpasst und streckte an der Landstraße den Daumen raus. Ein Ehepaar hielt an und fragte besorgt, ob sie helfen könnten und wo denn mein Wagen liegengeblieben sei. Zwei Autos mit Männern mittleren Alters am Steuer waren zuvor ungerührt an mir vorbeigerauscht, obwohl man prima hätte halten können und mein Daumen unmissverständlich nach oben zeigte. »Ältere Frau in Not«– damit will nicht jeder was zu tun haben. Wobei ich ja gar nicht in Not war. Ich wollte bloß nicht zwei Stunden auf den nächsten Bus warten.
Lises Freundin Inge hat mir erzählt, sie habe auch mal mit Mitte 50 versucht zu trampen. Sie lief rechts am Straßenrand entlang und hielt den Daumen raus. Die Autofahrer sahen sie nur von hinten, wobei ich dazu sagen muss, dass Inge auch in den späten Jahren immer noch mit einer knallroten Lockenpracht beeindruckt. Ein Auto mit zwei Typen hielt an und Inge drehte sich zu den Männern um. »Ich sah so richtig, wie denen die Kinnlade herunterfiel«, erzählte Inge und grinste. »Die hatten gedacht, da geht eine junge Frau.« Die beiden fuhren bedauerlicherweise dann doch in eine ganz andere Richtung.
Also Trampen ist mit 50 kompliziert. Macht ja nicht mal mehr die Jugend. Britt hätte das Per-anhalter-Fahren bestimmt als Experiment betrachtet. Wahrscheinlich hätte sie mich an der Straße stehend fotografiert. Daumen hoch, kein Auto hält, ein Foto alle zwei Minuten. Dann hätte sie die genauen Uhrzeiten unter die Schwarzweißbilder geschrieben und die Bilderserie in eines ihrer Kunstwerke eingebaut, Titel Wie die Zeit vergeht. Haha. Ich merke, dass ich gerade nicht so gut auf Britt zu sprechen bin. Erstens hat sie den besseren Stuhl, und zweitens führt sie das große Wort, obwohl nicht sie, sondern Winfried fast die ganze Zeit gefahren ist.
Halb Asien sitzt auf dem Boden
»Campen ist immer ein Test. Die Frage ist: Kann man sich vom Komfort wieder entwöhnen, oder schafft man das nicht«, verkündet Britt. »Du sagst es«, stimmt Winnie zu. Er war früher ständig auf langen Reisen unterwegs, in möglichst entlegene Gegenden der Welt. Erst recht, nachdem ihn seine Frau vor einigen Jahren verließ und die beiden Kinder mitnahm. Während seiner Liaison mit Natalie versuchte sich Winfried dann im Strandurlaub auf Bali. Doch das ist ja nun auch Geschichte. Strandurlaub war seine Sache nicht.
Britt packt Auberginen, Kartoffeln und Zwiebel aus. Sie will einen Aubergineneintopf zubereiten. Wir fangen an zu schälen und zu schnippeln. Mir schwant, dass die Essenszubereitung den ganzen Abend in Anspruch nehmen wird. Winfried dreht an der Flamme. Er will uns erst mal Tee machen. Allein schon darauf zu warten, bis Wasser auf dem kleinen Kocher anfängt zu sieden– das erfordert Geduld. In Tibet soll es ähnlich sein. Das Land liegt mehr als dreitausend Meter hoch, die Luft dort oben ist dünn, und deshalb braucht Wasser irre lang, bis es blubbert. Vielleicht sind die Tibeter deswegen so gelassen, wie man immer behauptet. Jede Kultur beginnt mit der Nahrungszubereitung.
»Frisch ist es schon, wenn man im April des Nachts draußen ist«, bemerkt Winfried. Er hängt ein paar Teebeutel in die Isokanne. Das Wasser kocht
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