Aelter werden ist viel schoener als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten - Neues aus der Lebensmitte
immer noch nicht. Vielleicht hätten wir mit dem Wassertopf zu den Sanitärräumen gehen sollen, die liegen 100 Meter entfernt in der Mitte des Campingplatzes. Da gibt es doch warmes Wasser, Herrgott nochmal. Dann wäre das mit dem Teekochen deutlich schneller gegangen. Oder sollen wir bei den Lodenbaums vorbeischauen im Bungalow? Doch man hat seinen Stolz, erst recht im höheren Alter.
Ich stelle den wackligen Campinghocker beiseite und lasse mich auf dem Boden nieder. Unter den Hintern schiebe ich mir Isomatte und Schlafsack. Das wird schon gutgehen. Man soll auch nicht zu zimperlich sein. »Halb Asien hockt auf dem Boden«, sage ich. »Kann mich nicht erinnern, dass wir in unserer Hippiezeit jemals auf Campingstühlen saßen.«
Außerdem bin ich gut gerüstet für das ebenerdige Sitzen und überhaupt für das Leben draußen: Ich habe mir in einem Outdoortempel längselastische Trekkinghosen gekauft. Außerdem einen Fleecepullover aus Polartec Micro 100 , über dem ich eine atmungsaktive Softshelljacke trage. Die Jacke ist aus elastischem Stoff und hat eine »vorgeformte Ellenbogenpartie«, erläuterte der Verkäufer. Mit den angewinkelten Jackenärmeln lässt sich prima Gemüse schnippeln. In meinem Gepäck befindet sich zudem eine raschelarme Regenjacke mit Unterarmbelüftung zum Drüberziehen. Man weiß ja nie, was kommt. Und falls es sehr kalt wird, ziehe ich als »erste Schicht«, wie der Verkäufer mir empfahl, mein antibakteriell und geruchshemmend bestrahltes Longsleeve-Thermohemd mit Anti-Pilling-Effekt drunter.
Einen Wanderschuhtick habe ich schon im vergangenen Jahr entwickelt. Inzwischen besitze ich abrollfähige, knöchelhohe Wanderschuhe für das Mittelgebirge und wasserdichte Goretex-Stiefel mit Geröllschutzrand für alpines Gelände, Halbschuhe für Frühjahrswanderungen im flachen Gelände und noch ein Paar Retrobergstiefel im 30 er-Jahre-Look, die ich mir in einem schwachen Moment aus rein ästhetischen Gründen zugelegt habe. Nach Italien habe ich die Halbschuhe und die Mittelgebirgstreter mitgenommen, zusätzlich zu den schlichten Turnschuhen, die ich meistens trage.
Verwegen im Strickpullover
Das ist schon anders als vor 35 Jahren, wo ein Paar Wildlederschuhe genügte, um sich verwegen zu fühlen, ich mit einem Strickpullover vom Flohmarkt aus den 50 er Jahren loszog und bei Bedarf einen langen schwarzen Wollmantel gegen die Kälte überwarf. War damals cool. Heute würde ich wie eine obdachlose Alkoholikerin aussehen in diesem Outfit.
»Wetterschutzkleidung kann man im Grunde schon sehr billig kriegen«, meint Britt, als könne sie Gedanken lesen. »Diese überteuerten Goretex-Klamotten braucht doch niemand.« Das muss sie jetzt betonen. Sie hat sich einen verwaschenen hellblauen Anorak übergezogen, der noch von ihrer Mutter stammt. Es ist ein Schlupfanorak, der Reißverschluss endet knapp unterhalb der Brust. Das Teil ginge heute schon wieder als Retromodell eines teuren Markenherstellers durch. Es ist aus Popeline– die jungen Menschen heute wissen wahrscheinlich gar nicht mehr, was das für ein Material ist. Unter dem Popelineanorak trägt sie einen Fleecepullover, den sie bei Aldi fast geschenkt bekommen hat.
»Die teuren Outdoormarken sind etwas für Leute, die gerne auf große Expedition machen würden«, fährt Britt fort. »Dabei gehen diese Rentner in ihrem Goretex-Fummel nur ein paar Stunden durch den Stadtwald und achten dabei sorgfältig auf das Schmerzgeschehen in den Füßen.«
Wer die Doppeljacke »Annapurna« mit zweilagiger Goretex-Performance ersteht, kauft die Illusion, sich in der Funktionskleidung durch widrige Natur zu kämpfen, selbst wenn man nur im hiesigen Landschaftsschutzgebiet herumspaziert. Mit den hohen Preisen bezahlt man die Markenwerbung mit ihrem Technosprech von »Atmungsaktivität« und »Power Stretch«. Dabei sind in den Outdoorkatalogen letztlich nur in Kunststoff eingewickelte, zivilisationsmüde Vertreter der westlichen Welt zu sehen, die durch Gebirgsregionen stapfen, in die kein Einheimischer ohne Bezahlung einen Fuß setzen würde.
Das alles weiß ich selbst, Britt braucht nicht darauf herumzureiten. Trotzdem habe ich mir das teure Zeug gekauft. Vielleicht weil es mir die Illusion des wilden Lebens gibt. Erst recht in einem Alter, in dem ich mir nicht mehr einbilden kann, dass sich das wilde Leben automatisch durch den Erwerb eines raffinierten Minikleides einstellt.
»Wir können später mal die Plätze tauschen«, schlägt Britt
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