Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Äon

Äon

Titel: Äon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
da die ganze Zeit getrieben hat.«
    Mirski richtete die Videokameras auf sie, bis sie aus dem Blickfeld verschwanden. Es stand noch etwas auf dem Spiel. War es möglich, den Charakter des eigenen Vaterlands falsch einzuschätzen? Ja; es fehlte die Grundlage für einen Vergleich, und mochte er auch davon überzeugt sein, so entbehrte seine Überzeugung ohne Vergleichsmöglichkeit jeder Grundlage. Trotz des Wissens aus der Bibliothek mußte er ein Experiment durchführen.
    So unfair die Prüfung auch sein mochte, er wollte sein Land und alles, wofür es stand, an Vielgorskis Verhalten messen.
    »Er wird ihnen die Waffen abnehmen«, sagte Mirski. »Sie dürfen nicht bewaffnet sein, wenn ich erscheine.«
    »Und du gehst jetzt hinunter zu ihnen?« fragte Pogodin.
    »Ja.«
    »Traust du Vielgorski?«
    »Ich weiß nicht. Es ist schon riskant.«
    »Nicht nur für dich«, wandte Pogodin ein. »Wir haben mit dir zusammengearbeitet – Pletnew, die Wissenschaftler, ich, Annenkowski, Garabedian.«
    Mirski eilte zur Treppe. Er bekam eine Gänsehaut beim Hinuntergehen. Jetzt hatte er mehr Angst als beim Absprung vom Schwertransporter ins Bohrloch. Er fühlte sich wie ein Kind, was ihm komisch vorkam. Und er war müde. Müde, wie er es beim Amerikaner Lanier beobachtet hatte.
    Tür auf.
    Hinein in die Bibliothek. Nur die drei Zampoliten waren hereingekommen: Vielgorski richtete eine Pistole auf Belozerski, während Jazikow danebenstand und den Amtskollegen empört anstarrte. Ihre Gewehre lagen außer Reichweite auf dem Boden, waren mit dem Fuß weggestoßen worden.
    »Kommen Sie her, Genosse General!« sagte Vielgorski. Er ging ein paar Schritte vor, wobei er nach wie vor mit der Pistole zielte, und bückte sich nach einem AKV. Belozerski funkelte Mirski mit irrsinnigem Haß an. Jazikows Miene war beherrscht und ohne Ausdruck. Mirski ging auf sie zu.
    Als er bis auf fünf Meter herangekommen war, schwenkte Vielgorski die Pistole von Belozerski und zielte mit einem Seufzer auf Mirski. »Ich danke dir nicht, Genosse«, sagte er und drückte ab.
    Mirskis Gesichtsfeld wurde verzerrt, als würde man die Zerrlinse eines Kinoprojektors plötzlich verstellen. Eine Kopfhälfte schien sehr groß zu sein. Er fiel auf die Knie und kippte nach vorne, fiel um und schlug mit der Backe fest auf dem federnden Boden auf, was mehr wehtat als das, was mit seinem Kopf passiert war. Sein heiles Auge blinzelte.
    Vielgorski senkte die Pistole, reichte sie Belozerski, ging zu den umherliegenden Gewehren, hob eines auf, zielte auf die Bestuhlung und ballerte drauflos. Chromkugeln flogen durch die Gegend und Querschläger, wobei der Lärm trotz des Echos in der großen Halle wie von Ferne klang.
    Belozerskis entzückter Jubelschrei fand ein jähes Ende, als ein gewaltiges, unbeschreibliches Geräusch ertönte. Die drei politischen Offiziere zuckten zusammen; Vielgorski ließ die Waffe fallen und warf den Kopf zurück. Jazikow hielt sich bald die Ohren, bald den Mund zu. Alle drei brachen sie zusammen. Weiße Schwaden strömten aus Düsen an der Decke und bildeten einen dichten Nebel.
    Der Nebel senkte sich auf sie herab, und Mirski schloß das eine Auge und war froh, endlich ungestört schlafen zu können.

 
44. Kapitel
     
    Lanier, der sich schlafend stellte auf der Liege und an die cremefarbene Decke starrte, wußte nur so viel:
    Sie waren untergebracht im äußeren Bereich des rotierenden zylindrischen Axis Nader: fünf Apartments in einer Etage mit Schlaf-, Wohn- und Badezimmer; ein gemeinsamer Essensbereich und ein großer, kreisrunder Aufenthaltsraum am Ende des Flurs. Die Zentrifugalkraft war in diesem Bereich nur geringfügig kleiner als auf den Kammerböden des Steins. Alle Räume waren verschlossen und fensterlos, obgleich künstliche Fenster mit irdischen Szenen davor die Illusion von räumlicher Ausdehnung vermittelten.
    Man hatte keine Mühe gescheut, um sie in vertrauter Umgebung angenehm unterzubringen. Was Lanier aus diesem Aufwand folgerte, war, daß sie bedeutende Leute waren. Ob sie allerdings Gefangene oder geschätzte Gäste waren, ließ sich jetzt noch nicht sagen.
    Er drehte den Kopf zur Seite, griff zum Stapel von Magazinen auf dem Couchtisch, ergriff einen STERN und blätterte lustlos in dem Blatt. Immer wieder musterte er das Apartment, studierte feine Details: die kunstvolle Glasvase in einer Ecke des Sekretärs, rot und purpur und mit Golddraht belegt; den dicken Sofabezug mit afrikanischen Motiven; die Bücher im Regal und die

Weitere Kostenlose Bücher