Äon
verkaufen. Die fünfzehn Archäologen in unserm Team würden jeden umbringen, der sich zu so’nem Vorschlag erdreisten würde. Sie ziehen alle paar Tage Bilanz – ich wette, du wirst demnächst selber der einen oder anderen Konferenz beiwohnen. Sie arbeiten rund um die Uhr – und das schon seit drei Jahren, als wir sie heraufgeholt haben. Seitdem darf hier keiner mehr was anrühren, es sei denn ein Commander der Sicherheitskräfte oder ich selber greife ein. Und sogar dann brauchen wir verdammt gute Gründe.«
Patricia nickte den drei Wachleuten zu, die ihren Gruß freundlich erwiderten, wobei einer sogar salutierte. Ein Funkgerät im Wachhäuschen piepste und knarrte. Der diensthabende Officer antwortete. Patricia konnte seine kehligen Worte nicht verstehen, glaubte aber, russische Brocken zu hören.
»Ich hätte schwören können, das sind lauter astreine Amerikaner«, bemerkte sie.
»Sind sie auch. Bei Hua Ling im Bohrloch am südlichen Deckel arbeiten einige Russen mit.«
»Und die Marinesoldaten sprechen Russisch?«
»Dieser anscheinend schon. Und drei, vier weitere Fremdsprachen. Tja, Spitzenleute.«
»Sind hier auch normale?«
»Kein gemeines Volk, wenn du das meinst. Können wir uns nicht leisten. Jeder hier muß doppelt und dreifache Funktionen ausfüllen.« Er setzte sich wieder vors Steuer. »Wenn du so weit bist, fahren wir über die Brücke und weiter zur Bibliothek.«
»Jederzeit«, erwiderte Patricia und stieg ein.
Lanier setzte das Gefährt in Bewegung. Die Tore gingen vor ihnen auf und fielen hinter ihnen wieder zu.
Knatternd überquerten sie die vierspurige Brücke. Patricia griff in die Tasche und zog die Tafel hervor. Mit Hilfe ihrer zehn Kurzschrifttasten notierte sie:
Wetter (soweit welches feststellbar): Himmel recht klar. Perspektive echt verblüffend. Gelände erscheint nahebei flach, scheint sich dann unmittelbar über dem Horizont (Richtung Norden) zu krümmen, wobei die Krümmung an der Talseite immer krasser wird. Die Kammer birgt über einem viele Details, die man durch einen Dunstschleier sieht.
Sie spielte ab, was sie getippt hatte, und achtete auf Fehler. An der High School hatte sie das Tafelschreiben gelernt, aber das lag viele Jahre zurück. Normalerweise schrieb sie lieber mit der Hand. Allerdings war Papier offenbar ein rares Gut auf dem Stein, mit dem man sparsam umzugehen hatte.
Als sie in einer breiten Durchgangsstraße fuhren, schrieb sie weiter. Straße zirka fünfzig Meter breit, in der Mitte getrennt durch ehemaligen Grünstreifen mit Bäumen, wie’s scheint. Zwei Fahrspuren beidseitig. Pflanzen sehen nicht gesund aus. Mangelhafte – oder fehlende? – Versorgung. Die Schaufenster in Straßenhöhe sind fast alle zerbrochen. Arkaden mit Geschäften, Agenturen – offen. In einem Fenster – humanoide Puppe. Langer Hals, in Pose, aber nackt.
Sie bemerkte ein Schild über einem ehemaligen Juwelierladen. »Kesar’s« las sie da. Lateinisches Alphabet – und auf der Rückseite des Schilds, wie sie beim Weiterfahren feststellte, kyrillische Schrift. Manche Geschäfte trugen orientalische Schriftzüge – in Chinesisch und Japanisch. Andere trugen laotische und modifiziert vietnamesisch-römische Aufschriften.
»Herrgott«, staunte sie. »Man könnte glatt meinen, man wär’ in Los Angeles.«
Irgendwie hatten die Läden, die Schilder, selbst die wenigen Auslagen etwas Eigenartiges an sich. Patricia schaute genauer hin, um das Rätsel zu lösen. »Moment mal!« sagte sie, und Lanier fuhr langsamer. »Das soll altertümlich aussehen, nicht wahr? Ich meine, genau wie daheim, wo sie Einkaufsstraßen bauen, in denen man sich wie im guten alten England vorkommt. Alt soll’s wirken.«
»Gut beobachtet«, meinte Lanier mit einem Achselzucken. »Eigentlich habe ich auf diese Gegend noch gar nicht geachtet.«
»Garry, ich bin total durcheinander. Wenn der Stein vor tausend Jahren gebaut worden ist, wie soll das alles zusammenpassen?«
Lanier folgte einer leichten Kurve und hielt dann mitten in der Straße an. Er deutete auf ein großes, umbrabraunes Gebäude am nördlichen Rand der Grünfläche. »Das ist eine der Bibliotheken – eine der beiden, die wir derzeit untersuchen. Die anderen sind zu.«
Patricia knabberte an ihrer Unterlippe. »Sollte ich jetzt aufgeregt sein?« fragte sie.
»Schon. Ich wär’s.«
»Ich meine, es ist wie…« Sie schüttelte den Kopf. »Was soll ich da drin? Ich bin Mathematiker, kein Ingenieur oder Historiker.«
»Glaub mir,
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