Äon
Schreiben auf Briefpapier des Weißen Hauses, das sie Lanier reichte. Im Endeffekt besagte das Schreiben, daß der Präsident sich mit dem Gedanken trage, eine offizielle Untersuchung darüber einzuleiten, wie die Erforschung des Steins bislang gehandhabt wurde. »Dieses Schreiben wurde verfaßt, nachdem wir die ersten Berichte vom zweiten ABE-Team ins Weiße Haus weiterreichten und das Bibliotheksmaterial als authentisch bestätigt war.«
»Wir wollten den Vizepräsident bis zum Ende der Woche auf den Stein bekommen, aber er lehnte die Einladung dankend ab«, sagte Hoffman.
»Welche Position beziehen die Russen zum Stein?« fragte Lanier.
»Sie starteten vor zwei Jahren insgeheim eine eigene Sonde in den Asteroidengürtel. Die Sonde lieferte noch vor oder gleichzeitig mit unserer ABE die Bestätigung. Sie wissen, daß es tatsächlich einen sehr großen Asteroiden gibt, der dem Stein aufs Haar gleicht.«
»Juno?«
»Ja. Die Übereinstimmung ist perfekt – bis auf die Aushöhlungen.«
Lanier erfuhr zum ersten Mal von der Bestätigung, die der zweite ABE geliefert hatte. »Also sind Juno und der Stein an sich ein und dasselbe.«
Hoffman schob ihm eine Akte mit Fotos von ABE und erdnahen Überwachungssatelliten zu. Ein ABE-Bild zeigte Juno, einen kartoffelförmigen Brocken von planetarem Urmaterial, mit Furchen und Kratern übersät. Der Stein war identisch, wies aber Aushöhlungen auf und Mulden an den vertieften Bohrlöchern. »Mein Gott«, sagte Lanier.
»Ich glaube, der hat damit nichts zu tun«, meinte Hoffman. »Schon eher Konrad Korzenowski.«
»Jedenfalls werden die Russen«, erklärte Hague, »ihr Team innerhalb von drei Wochen oder schon eher abziehen. Sie sind verärgert, weil wir ihnen die volle Bewegungsfreiheit verweigern, während die Chinesen sogar bis in die siebte Kammer dürfen. Das ist ihre Begründung, und keine schlechte. Ich würde mich auch ärgern! Aber es erklärt längst nicht alles.«
»Sie willigten in diese Aufteilung ein, als wir voriges Jahr die Zuständigkeiten der verschiedenen Teams festlegten«, erklärte Lanier stirnrunzelnd.
»Ja, aber offenbar gibt es noch mehr undichte Stellen«, meinte Hague.
»Herrje!« Wer?
»Und sie behaupten jetzt«, fuhr Hague fort, »daß wir sie in bezug auf den Inhalt der Bibliotheken hinters Licht geführt haben.«
»Zugegebenermaßen«, räumte Hoffman mit einem zaghaften Lächeln ein.
»Kommt das wissenschaftliche Team ohne die Russen zurecht?« fragte Cronberry.
»Ja. Sie arbeiten hauptsächlich an der Theorie zur Erklärung der Energieversorgung der kammerinternen Plasmaröhre. Wir kommen ohne sie aus, aber es werden sich wichtige Forschungsarbeiten verzögern oder gar nicht mehr verwirklichen lassen. Wie steht’s mit Beijing?«
Cronberry blätterte eine Personalakte durch. Hague griff über den Tisch und zog ein Blatt heraus. »Karen Farley hat die chinesische Staatsbürgerschaft und arbeitet auf dem Gebiet der theoretischen Physik, stimmt’s?«
»Ja. Sie hat sich in vielerlei Hinsicht nützlich gemacht.« Ach bitte, nicht Farley – nicht Wu und Chang…
»Sie und ihre Kollegen müssen abgezogen werden, falls die Russen gehen.«
»Ich sehe keinen Zusammenhang«, wandte Lanier ein.
»Die Chinesen riechen Lunte«, erklärte Hoffman. »Wenn die Russen glauben, daß sie hinters Licht geführt und bei wichtigen Entscheidungen ausgesperrt werden, so haben die Chinesen Anlaß zu ähnlichen Beschwerden. Ihre Anwesenheit ist für uns vielleicht vorteilhafter als für sie selber.«
»Ich kann nicht glauben, daß Russen und Chinesen auf ihren Platz auf dem Stein verzichten. Ich würd’s nicht.«
»Tun sie nicht«, erwiderte Hoffman. »Wir haben Grund zur Annahme, daß sowohl die Russen als auch die Chinesen Spitzel im Sicherheitsteam und vielleicht sogar im wissenschaftlichen Team haben. Des weiteren gehen interessante Aktivitäten im russischen Orbitalraum und auf dem Mond vor sich. Ganz zu schweigen von der erhöhten Aktivität in Tyuratam und auf dem Raketenabschußgelände im Indischen Ozean.«
»Invasion von Mond und Erde?«
Hoffman schüttelte den Kopf. »Alles Kinkerlitzchen im Vergleich zur großen Frage. Hat Vasquez noch gar nichts gesagt? Was meint sie zu Parallelwelten, was zu Alternativvergangenheit?«
»Sie hatte noch nicht die Zeit, große Reden zu schwingen«, erklärte Lanier ruhig. »In ein paar Wochen wissen wir vielleicht mehr.«
»Ich verstehe den Standpunkt des Präsidenten. Es fällt mir sehr schwer, an so
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