Äon
was zu glauben«, sagte Cronberry. »Muß man annehmen, daß der Stein von unserer Zukunft kommt?«
»Nein«, entgegnete Lanier. »Der Stein kommt aus einem anderen Universum, das mit dem unseren nicht identisch ist. Soviel ist sicher. Es bestehen offenkundige Unterschiede.«
»Kein Stein in der Vergangenheit des Steins«, bemerkte Hague.
»Ganz richtig.«
»Und wir haben keine Möglichkeit, in Erfahrung zu bringen, inwiefern der Stein den Lauf unserer Geschichte beeinflußt.«
»Er verändert viel, würde ich meinen«, bemerkte Hoffman, »wenngleich nicht zum Guten.« Sie hielt einen Memoblock mit der Aufschrift »Pflanzenphysiologische Veränderungen unter Plasmaröhrenbedingungen« hoch. »Persönlich angefertigt?« fragte sie Lanier, während sie den Würfel an Cronberry und Hague weiterreichte.
Lanier nickte. »Im S-Code. Eine Zusammenfassung unserer besten Quellen, meist aus der Bibliothek in der dritten Kammer. Die dritte Kammer steht bei Vasquez in wenigen Tagen an.«
»Was wird hier zusammengefaßt?« wollte Hague wissen, der das Ding mit der Hand abwägte.
»Die ersten beiden Kriegswochen.«
Cronberry zuckte zusammen.
Hoffman nahm eine Tafel, programmierte sie auf S-Code, steckte den Block ein und sichtete das Material. Ihr Gesicht wurde kreidebleich. »Sehe ich zum ersten Mal«, sagte sie. »Es handelt sich hauptsächlich um historisches fotografisches Dokumentationsmaterial, das von den Truppen beider Seiten angefertigt worden ist. Gegen Ende ist zum Teil eine Chronik des Langen Winters zusammengestellt.«
»Das ist also keine bloße Theorie mehr«, kommentierte Hague.
Lanier schüttelte den Kopf.
»Wie lange war… wird… der Winter sein?« fragte Cronberry, die sich die Tafel zögernd von Hoffman zureichen ließ.
»Ein, zwei Jahre in der Intensivphase.«
Hague nahm die Tafel von Cronberry in Empfang. »Dieses Material stammt garantiert aus der Bibliothek der dritten Kammer?«
Lanier schluckte betroffen und antwortete dann gereizt: »Ich hätt’s mir wohl kaum aus dem Ärmel schütteln können.«
»Natürlich nicht«, sagte Hoffman. »Falls die Bibliotheken recht haben, falls unsere Welten auf diese Weise zusammenfallen, dann bleiben uns noch etwa sechzehn Tage?«
»Ob so oder so, bis dann wird Klarheit herrschen«, antwortete Lanier. »Obwohl das Wissen um die Ereignisse sich bestimmt entscheidend auf die Folgen auswirken wird. Falls – falls – es überhaupt dazu kommt.«
»Wir berufen für morgen mittag ein Gespräch mit den Russen ein«, sagte Hoffman. »Ganz zwanglos. Sie haben um deine Teilnahme gebeten. Mr. Hagues Abteilung hat den Außenministerium und DOD die Erlaubnis für das Treffen abgerungen. Falls die Gespräche erfolgreich verlaufen, werden weitere Begegnung auf Ministerebene folgen. Und sollten wir den Präsidenten bis zur nächsten Woche überzeugen können, dann wird vielleicht ein Gipfeltreffen arrangiert.« Sie blinzelte langsam in seine Richtung und fixierte nach wie vor den imaginären Punkt oberhalb seiner Schulter. Es war nicht ganz das tausendjährige Starren eines kriegsmüden Veteranen, aber fast.
13. Kapitel
Die Stadt in der dritten Kammer war der nächste Schritt.
Nach dem Ausflug zu den Schächten des ersten Zirkels und nach dem Studium der Bücher, die Lanier ihr in der Bibliothek von Alexandria zusammengestellt hatte, wuchs Patricia – entsprechend abgestumpft – nahtlos in die Materie hinein. Es war ein Spiel, eine Übung, nicht mehr wirklichkeitsbezogen als die schrulligen mathematischen Spielereien, die sie sich als Teenager ausgedacht hatte.
Sie war in den letzten beiden Wochen unzählige Male unter der Stadt Thistledown hindurchgefahren. Allerdings war die dritte Kammer die bestbewachte der ersten fünf. Keiner der Züge hatte dort gehalten – bis jetzt.
Rupert Takahashi begleitete sie vom U-Bahnhof hinauf zu den ebenerdigen Gehsteigen.
Takahashi diente dem wissenschaftlichen Team in einer ungewöhnlichen Funktion. Sein Titel als Mathematiker wäre eine völlig unzureichende Beschreibung seines Tätigkeitsfeldes gewesen; scheinbar wechselte er von einem Interessengebiet ins nächste, wobei er tageweise bald mit der einen, bald mit der anderen Gruppe arbeitete. Er war mehr als ein Generalist: er war ein Generalist mit einem speziellen Ziel, nämlich die mathematische und statistische Exaktheit innerhalb der verschiedenen Wissenschaftlergruppen zu überwachen. Das erklärte, wie es dazu kam, daß er mit Professor Rimskaya an der
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