Äon
rechte Freude aufkommen. Um zehn ging sie wieder.
Lanier hatte sich noch nie einer Prostituierten bedient. Sein Trieb war, von einigen bemerkenswerten Ausnahmen abgesehen, weniger hartnäckig als bei anderen Männern.
Um Viertel nach zehn klopfte es behutsam an seiner Tür. Er öffnete, und der Agent, der den Wagen vom Wüstenlandeplatz in die Stadt chauffiert hatte, machte Meldung über zwei Memoblöcke. »Miss Hoffman läßt schön grüßen«, sagte er. »Wir sind in der Tür gegenüber, falls Sie was brauchen.«
Die Memoblöcke, die er vom Stein mitgebracht hatte und die wertvoller waren als Lanier selbst, waren im Panzerauto am selben Tag noch nach Pasadena gebracht worden. Sicher wurden die Blöcke in diesem Moment von der Präsidentenberaterin gesichtet.
Er schaltete alle Lichter aus, legte sich aufs Bett, starrte an die Decke und überlegte, wie viele der alternden Managertypen in der Polo Bar das Callgirl in ihrem jungen Leben schon bedient hatte.
Er hatte es nie leicht gehabt mit der Lust. Diesmal konnte von Lust keine Rede sein; es war vielmehr darum gegangen, dem Fleisch seine Schuldigkeit zu erweisen. Nach so vielen Monaten des Darbens – an sich war’s schon über ein Jahr – schien es einzuleuchten, daß der Körper Bedürfnisse hatte, die er nicht mehr an ihn weiterleitete.
Das würde zumindest auf eine normale Veranlagung schließen lassen. Er hatte schon immer ein schlechtes Gewissen ob seiner Leidenschaftslosigkeit – falls dies das richtige Wort war. Schlechtes Gewissen und Dankbarkeit. Immerhin blieb ihm mehr Zeit zum Denken, ohne ständig abgelenkt oder gar abgedrängt zu werden.
Diese »Leidenschaftslosigkeit«, hatte ihn auch Junggeselle bleiben lassen. Dabei war er durchaus das übliche Maß an Liebschaften eingegangen, wobei jedoch Arbeit und Ehrgeiz immer wieder die Oberhand gewannen. Aus Liebschaften waren meist Bekanntschaften geworden, die wiederum im Freundeskreis unter die Haube kamen.
Typische Verhältnisse.
Schlaf. Bedrückende Träume, schwer und dunkel. Er war Kapitän eines riesigen Luxusdampfers auf einem schwarzen Ozean. Jedesmal wenn er über die Seite blickte, um den Wasserstand zu beobachten, sank das Schiff ein bis zwei Meter. Am Ende des Traums geriet er in Panik. Die Schwerkraft der Erde zog das Schiff unter Wasser, und er war der Kapitän, und es war das schönste Schiff, das er je geführt hatte. Er verlor das Schiff, brachte es aber nicht über sich, es zu verlassen, indem er aufwachte…
Am nächsten Morgen gegen acht ging Lanier, mit seiner Aktentasche bestückt, im Geleit von zwei frischen Agenten über den betonierten Hof des Jet Propulsion Laboratory. Er genoß den strahlenden Sonnenschein und empfand das größere Gewicht gar nicht mehr als lästig, so daß er geradezu enttäuscht war, den ganzen Tag in klimatisierten Büroetagen verbringen zu müssen. Die erste der zwei, vielleicht drei anberaumten Sitzungen sollte im VIP-Konferenzsaal stattfinden.
Er schluckte eine Pille, um seine laufende Nase in den Griff zu bekommen, trank einen Schluck Wasser aus einem Messingbrunnen im neu angelegten Park und schlenderte gemächlich vorbei an den schwarzen Schaukästen, die JPL-Projekte vorstellten. Da wetteiferten Marsentwicklungsvorhaben mit Berichten übers Sonnensegel und einem Hologramm der vorgeschlagenen Proxima-Centauri-Sonde.
Unerwähnt blieb die zweite Asteroidengürtelsonde ABE – Asteroid Belt Explorer –, die vor zwei Jahren gestartet worden war.
Lanier und seine Schatten in grauem Anzug ließen sich aus Rücksicht auf seine Schwerkraftsmüdigkeit beim Treppensteigen Zeit und passierten die Sicherheitstür aus Panzerglas. Nachdem er einem Monitor seinen Ausweis gezeigt hatte, sprang eine stählerne Gittertür mit einem angenehmen Summen auf. Die Agenten traten nicht ein. Nun folgte ein Flur, dessen Wände Schaukästen säumten. Maßstabsgetreu verkleinerte Modelle der bisherigen JPL-Triumphe blitzten und funkelten da hinter Plexiglas: Voyager, Galileo, Drake und Solarsegel. Da waren außerdem OTV-Modelle und Illustrationen, die das Erforschungsvorhaben der Sterne erläuterten.
Lanier nahm den altmodischen Aufzug in den sechsten Stock, wobei er die aufleuchten Zahlen anstarrte.
Als die Aufzugtür aufglitt, erwartete ihn ein weiterer Geheimdienstagent, der wiederum nach seiner ID-Karte verlangte. Lanier zog die Karte aus der Tasche und hielt sie neben sein Abzeichen. Der Agent bedankte sich lächelnd, während Lanier ohne Begleitung zum
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