Äon
ganze Seiten bis auf wenige Quadratzentimeter mit Gleichungen und Graphen durch dicke Bleistiftstriche unleserlich gemacht. Olmy blätterte aufmerksam die Notizen durch, wobei er sich über Patricias persönliche Bemerkungen wunderte.
Nun lag in einer Ecke eine Tafel, dessen silbergrauer Bildschirm leer war. Ein Memoblock steckte in der Öffnung an der rechten Seite der Tafel direkt über der kleinen Tastatur. Olmy wandte den Kopf, um die Position der Wachtposten auszumachen, kniete sich dann neben die Tafel und schaltete sie an. Es war nicht schwer, den Umgang mit dem altertümlichen Gerät zu erlernen; in wenigen Minuten war er damit vertraut und ließ rasch den Inhalt des Memoblocks abrollen. Die verschiedenen Archive überspielte er zur späteren Analyse auf sein Implantat, was ungefähr vier Minuten in Anspruch nahm.
Der erste Eindruck, den er von ihrer Arbeit gewann, zeigte, daß sie ihrer Zeit weit voraus war.
Er ordnete gerade die Blätter so, wie er sie vorgefunden hatte, als einer der Posten ums Zelt kam und in seine Richtung blickte. Olmy, der wußte, daß er sich auf die piktographierte Tarnung verlassen konnte, stand langsam auf.
»Hast du was gehört, Norman?« fragte Sergeant Jack Teague seinen Kameraden.
»Nein.«
»Windstoß oder was? Ich könnte schwören, daß da Papier geraschelt hat.«
»Wieder mal so’n Spuk, Jack, weiter nichts.«
Teague trat vor die Kiste und betrachtete die Blätter.
»Herrgott«, sagte er, »was das wohl ist?« Er beugte sich vor und folgte mit dem Finger einer Zeile von Ziffern und Symbolen. Da waren Groß- und Kleinbuchstaben, senkrechte Doppelstriche, die ihn ans Matrixzeichen aus der Schule erinnerten, Integralzeichen, Exponenten mit Frakturbuchstaben und griechischen Buchstaben, Schnörkel und Dreiecke und schiefe Kreise mit Doppelpunkten in der Mitte, Buchstaben mit Pünktchen wie Umlaute…
»So’n Durcheinander«, meinte Sergeant Teague und richtete sich wieder auf. Die Haare im Nacken stellten sich auf, und er schnupperte; plötzlich wirbelte er herum.
Natürlich war da nichts. Was hatte er nur erwartet?
12. Kapitel
Lanier hatte den Großteil der zweitägigen OTV-Fahrt verschlafen und in Träumen geschwelgt, die Stein und Erde, Vergangenheit und Zukunft munter vermengten.
Er blickte auf seine Armbanduhr und dann ins Gesicht des Geheimdienstagenten, der neben ihm in der Limousine saß. Es blieben ihm achtzehn Stunden Zeit zwischen der Landung in Vandenberg und der Besprechung in Hoffmans Büro im Jet Propulsion Laboratory. Vor den getönten Scheiben huschte eine Wüstenlandschaft vorüber. Der Luftdruck war hoch und die Schwerkraft bedrückend. Trotz der dunklen Autoscheiben war die Sonne heiß und grell.
Er vermißte den Stein.
»Ich hab’ noch Zeit übrig«, sagte er.
»Jawohl, Sir.« Der Agent sah mit freundlicher, nichtssagender Miene geradeaus.
»Ist auf eure Diskretion Verlaß?«
»O ja, Sir, keine Sorge«, sagte der Fahrer. Der Agent auf dem Beifahrersitz blickte zu Lanier zurück.
»Miss Hoffman sagt, wir stehen Ihnen zur Verfügung, müssen Sie aber morgen früh um acht lebend und nüchtern in Pasadena abliefern.«
Lanier fragte sich, was Hoffman wohl dazu sagen würde, mit »Fräulein« betitelt zu werden. »Meine Herren«, sagte er, »ich übe mich schon länger, als mir lieb ist, in Enthaltsamkeit. Ein hohes Amt hat seine Bürden, nicht wahr? Gibt es in Los Angeles einen sicheren Ort, wo man…« – Er suchte einen ebenso antiquierten Begriff wie »Miss« – »wo man Linderung erfahren kann? Verschwiegen, nett, sauber.«
»Ja, Sir«, antwortete der Fahrer.
Zwei Drinks wurden ihm gestattet in einer feinen, aber altmodischen Bar namens Polo Lounge mit den verstaubten Relikten der schlechten alten Zeit des Fernsehens. Gegen fünfzehn Uhr wurden zwei Suiten im Beverly Hills Hotel direkt gegenüber belegt. Die Suite, die er beziehen sollte, wurde von den Agenten gründlich untersucht und dann durch gegenseitiges Zunicken als unbedenklich erklärt.
Endlich war ihm die Illusion von Privatsphäre vergönnt. Er ging unter die Dusche, legte sich aufs Bett und wäre beinahe eingeschlafen. Wie lange würde es dauern, sich ans zusätzliche Gewicht zu gewöhnen? Wie würde es seine Leistung beeinflussen?
Die Frau, die um siebzehn Uhr hereinschneite, war unglaublich schön, überaus freundlich, und ungeheuer – freilich nicht durch ihre Schuld – unbefriedigend. Er stufte seine Leistung als angemessen ein, trotzdem wollte keine
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