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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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José und Mary gefunden hatte, verängstigt in einer Ecke, hinter dem umgekippten Bett. Mehrere Stunden lang war jener Raum eine Art Hauptquartier für sie gewesen, denn direkt nebenan befand sich die Schwesternstation, in der es genug zu essen und zu trinken gab. Singerer hatte dort die Schusswunde in seinem linken Arm gereinigt und verbunden. Zum Glück handelte es sich um einen glatten Durchschuss, aber die Wunde schmerzte, trotz der eingenommenen Medikamente, und außerdem spürte er die ersten Anzeichen von Fieber. Oder war es einfach nur Erschöpfung?
    Er beobachtete, wie das Mädchen eine kleine Puppe unter dem Bettzeug hervorholte und sie kurz an sich drückte.
    »Sie gehört Elmer«, erklärte Mary. »Elmer will sie unbedingt mitnehmen.«

    José verdrehte die Augen und wollte etwas erwidern, doch ein durch den Flur hallender Schrei hinderte ihn daran. Singerer hielt sofort die Pistole in der Hand, sprang zur Tür und blickte nach rechts und links. Niemand zu sehen.
    »Kommt!«, drängte er. »Verlieren wir keine Zeit mehr.«
    Sie liefen zur Treppe. Mary hielt die Puppe in einer Hand, und in Josés großen Augen loderten Flammen. »Die Leute!«, stieß das Mädchen hervor. »Sie schreien, weil sie verbrennen.«
    »Nein«, sagte Singerer. »Selbst wenn die Flammen sie erreicht haben, was bestimmt nicht der Fall ist: Wir sind zu weit entfernt und könnten sie gar nicht hören.«
    »Ich habe einen Schrei gehört«, beharrte Mary.
    »Ich auch.« José starrte auf die Pistole in Singerers Hand. »Wollen Sie noch einmal schießen?«
    Sie erreichten das Erdgeschoss, und dort lag der dicke, stiernackige Mann im Flur, den Singerer vor gut zwei Stunden erschossen hatte: ein Kontaminierter, der wie aus dem Nichts erschienen war, als sie die anderen bereits weggelockt und eingesperrt hatten. Das Licht der aufgehenden Sonne fiel durch die nahe Fensterfront und strich wie warnend über das Skalpell in der Hand des Toten.
    »Schießen«, sagte José. »Schießen.«
    Draußen heulten jetzt mehrere Sirenen, und Singerer sah Bewegung hinter der Stacheldrahtbarriere. Mehrere Einsatzfahrzeuge fuhren nach rechts, nach Westen, und in Schutzanzüge gekleidete Gestalten folgten ihnen.
    »Weiter«, drängte Singerer, ohne auf Josés Frage einzugehen.
    Eine schmalere Treppe führte in den Teil des Kellers, der nicht zu Dr. Ritters Laboratorien gehörte. Das Licht von Lampen und brummende Notstromaggregate erwarteten sie unten
bei den Heizungsanlagen - die Generatoren hatten sich automatisch eingeschaltet, als die allgemeine Stromversorgung ausgefallen war. Sie brachten zwei Stahltüren hinter sich und gelangten in einen Raum mit Schaltpulten: Von hier aus wurde die Abwasserfilterung kontrolliert, und es wirkte alles erstaunlich normal - bis sie auf den Kopflosen stießen.
    Der Mann trug einen Kittel, keinen weißen wie die Ärzte, sondern den graublauen eines Technikers, und es rann noch immer Blut aus dem offenen Hals. Mary starrte mit kalkweißem Gesicht auf die Leiche hinab, die Puppe fest an sich gepresst, und José stand einfach nur da und zitterte.
    »Es muss noch freie Kontaminierte geben«, sagte Singerer und sah sich in dem großen Raum um, der eine trügerische Normalität suggerierte. »Diesem Mann wurde erst vor kurzer Zeit der Kopf abgeschnitten.« Aber nirgends regte sich etwas, und außer dem Brummen der Generatoren war nichts zu hören.
    »Elmer ist zornig«, flüsterte Mary. »Elmer sagt, solche Dinge dürfen nicht geschehen.«
    »Da hat er recht«, erwiderte Singerer. »Und damit sie uns nicht geschehen, sollten wir von hier verschwinden. Kommt.«
    »Elmer sagt, dass Leute, die so etwas tun, bestraft werden müssen.«
    Ein weiterer Schrei erklang und übertönte die plätschernden und gurgelnden Geräusche aus dem Aufbereitungsbecken im nächsten Raum. Singerer verharrte kurz und versuchte festzustellen, woher er gekommen war, deutete dann zum Tunnel, dessen Zugang bereits offen stand. Sie hatten schon einmal versucht, die Klinik auf diesem Weg zu verlassen, kurz nach Mitternacht, aber beim Kanalisationsanschluss waren sie auf Wachen
gestoßen. Der Brand im Westflügel, so weit wie möglich von diesem Teil des Krankenhauses entfernt, sollte die SEK-Leute ablenken.
    Das Mädchen und der junge Bursche gingen die kurze Treppe hinunter und zögerten vor der dunklen Öffnung, während Singerer, die Pistole in der rechten Hand, in die Richtung schaute, aus der sie gekommen waren. Hatte im Kontrollraum etwas

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