Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Äon - Roman

Titel: Äon - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
erreichte Anna und zog sie beiseite. Eine halbe Sekunde später erreichte das Feuer des brennenden SUV die Benzinlache direkt vor ihr, und eine Stichflamme wuchs jäh in die Höhe.
    »Meine Tasche!«, entfuhr es Anna. »Die Schriftrolle!«
    Sebastian sah sich um und entdeckte die Handtasche hinter dem Vorhang aus Feuer, bereits halb verbrannt und unerreichbar für ihn.
    Simon Krystek erschien vor ihnen, ohne Helm und ohne Zapfpistole. »Nur ein Mensch«, wiederholte er und zuckte mit den Schultern. »Aber sie bedeutet viel für den Menschen in dir.«
    Neue Sirenen erklangen, und Krystek blickte zur Straße. »Machen wir uns auf den Weg.«
    Sebastian verlor erneut die Kontrolle über seinen Körper
und versuchte nicht, dagegen anzukämpfen - es kostete zu viel Kraft. Wie zwei an Fäden geführte Marionetten folgten Anna und er dem Mann im Motorradanzug zu dem alten Volvo, den Béla gefahren hatte, und Anna setzte sich wie selbstverständlich ans Steuer. Bevor Sebastian im Fond Platz nahm, sah er ihr Gesicht und das Entsetzen darin.
    Krysteks schwarzer Lederanzug knisterte, als er sich zurücklehnte. »Fahren wir«, sagte er, und Anna kam der Aufforderung nach, startete den Motor und gab Gas.
    »Willst du gar nicht wissen, wohin die Reise geht?«, fragte Krystek und sah Sebastian an. Seine Augen schienen noch tiefer in den Höhlen zu liegen.
    Sebastian gewann einen winzigen Teil seiner Freiheit zurück. »Paris«, sagte er.
    »Ja«, bestätigte der Mann neben ihm, der kein Mensch mehr war. »Es ist eine weite Reise, und unterwegs wird viel geschehen. Zum Beispiel …«
    Anna hielt an der Straße und wartete auf eine Lücke in dem noch chaotischer gewordenen Verkehr. Schaulustige hatten gebremst, und es drohte ein weiterer Riesenstau. Krystek drehte sich halb um, und Sebastian folgte seinem Blick zur Tankstelle.
    Die Flammen erreichten die Zapfsäulen, fanden noch mehr Nahrung und entfalteten sich in einer Explosion zum Feuerball.

45
    Hamburg
    E ine anstrengende, gefährliche Nacht lag hinter ihnen. Sie waren zu dritt: ein zwölf Jahre altes Mädchen namens Mary; ein hagerer junger Bursche, der von sich behauptete, José zu heißen; und er selbst, Roland Singerer, Beamter des Bundesnachrichtendiensts, jemand, der seine Aufgabe und sogar seinen Lebensinhalt darin gesehen hatte, Gefahr von Staat und Gesellschaft abzuwenden. Jetzt, da er selbst ein Teil dieser Gefahr geworden war, sah er die Sache aus einem anderen Blickwinkel. Er schickte sich an, gegen die Staatsgewalt aktiv zu werden. Aber nicht direkt, sagte er sich. Nur mit einem kleinen Trick.
    Das Benzin stammte aus einem Krankenwagen unten bei der Notaufnahme. José hatte den einen Kanister genommen - obwohl er kaum in der Lage zu sein schien, ihn zu tragen - und Singerer den anderen; sie spritzten und schütteten den Inhalt auf Kissen, Matratzen und Laken, die sie aus Krankenzimmern geholt und der Einrichtung eines Labors im Westflügel hinzugefügt hatten.
    »Das wird ein hübsches Feuer geben«, sagte José. »Ein hübsches Feuer.«
    Singerer wusste inzwischen, dass er vor einigen Tagen nach
einem Drogenkollaps eingeliefert worden war. Der spindeldürre Bursche zitterte, als er den Kanister hin und her schwang, erweckte dabei den Eindruck, sich kaum auf den Beinen halten zu können. Doch in seinem Gesicht leuchtete es, und die großen Augen schienen bereits das Licht der Flammen widerzuspiegeln.
    »Ich weiß nicht, ob das richtig ist.« Mary stand weiter hinten, hatte die Arme um sich geschlungen und wirkte skeptisch. In der letzten Stunde, als der Plan Gestalt angenommen hatte, war ausgerechnet sie zur Stimme der Vernunft geworden. Singerer wusste nicht, warum sie zu den Patienten des Krankenhauses gehört hatte; einer entsprechenden Frage war Mary ausgewichen. Ganz normal erschien sie ihm nicht. Manchmal stand sie mit geneigtem Kopf da und erweckte den Eindruck, Stimmen zu lauschen. Ein Fall aus der psychiatrischen Abteilung? Weder José noch Mary zeigten Hinweise auf eine Kontaminierung, und das gab Singerer zu denken. Drogensucht und Entzugserscheinungen bei José und vielleicht Schizophrenie bei Mary - hatte der Umstand, dass sie beide von der geistigen Norm abwichen, sie bisher davor bewahrt, dem Wahnsinn zum Opfer zu fallen? Und was bedeutete das für ihn, Singerer? Er glaubte, keine Anzeichen einer Veränderung in sich zu spüren; musste er daraus den Schluss ziehen, ebenfalls einen Dachschaden zu haben?
    »Hübsche Flammen.« José ließ seinen leeren

Weitere Kostenlose Bücher