Äon - Roman
stark genug, um Einfluss auf unsere Sinne zu nehmen«, sagte der Papst. »Und sie werden immer stärker. Wie ich hörte, haben sie damit begonnen, andere Kontaminierte zu töten.«
Ignazio erinnerte sich an den Brief des Hieronymus. »Es würde bedeuten, dass bereits die kritische Phase begonnen hat. So schnell?«
»Raffaele hat mit seinen Wunderheilungen vor über einem Jahr begonnen. Zeit genug für sie. Wir haben es zu spät bemerkt.« Der Papst wechselte einen Blick mit seinem Berater. »Wir müssen bei dieser Sache mit der italienischen Regierung
und auch den anderen europäischen Staaten zusammenarbeiten.«
»Heiliger Vater …« Neue Sorge erfasste Ignazio, und die gleiche Sorge sah er auch in den Augen des Papstes. »Wenn bekannt wird …« Er sprach nicht weiter und sah sich um, als befürchtete er, bereits zu viel gesagt zu haben.
»Die europäische Polizei braucht genug Informationen, um die Sechs zu finden, Ignazio. Und um vorbereitet zu sein, muss sie eine Vorstellung davon haben, womit sie es zu tun hat. Aber …« Der Papst blieb stehen, nahm mit einem freundlichen Nicken den Gruß eines Geistlichen entgegen und schaute dann wieder seinen Berater an. »Was bisher als wahr galt, wird wahr bleiben, Ignazio. Dafür müssen wir sorgen. Es ist die Grundfeste dieser unserer Welt, und sie darf nicht in Gefahr geraten.«
Ignazio Giorgesi nickte erleichtert.
Der Papst setzte sich wieder in Bewegung, und Ignazio folgte ihm. Einige Minuten später betraten sie ein leeres Büro, und dort wandte sich der Papst erneut an seinen Berater.
»Ich habe eine neue Aufgabe für Sie.«
Ignazio neigte den Kopf. »Gewiss, Heiliger Vater.«
»Suchen Sie die Sapienti, die Hieronymus in seinem Brief erwähnte.«
»Gibt es sie noch, nach so langer Zeit?«
Der Papst trat zum Fenster und blickte nach draußen. Ein Unwetter braute sich über Rom zusammen. Erste Regentropfen fielen aus dunklen Wolken, und im Norden der Stadt flackerten Blitze.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er schließlich. »Ihre Spuren verloren sich Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Es waren
schwere Zeiten damals. Viel ging verloren. Und Hieronymus hat selbst darauf hingewiesen, dass sie keine Aufzeichnungen anfertigten. Sie beschränkten sich auf mündliche Überlieferungen.«
»Wenn Sie gestatten, Heiliger Vater …«
Der Papst drehte sich um. »Nur zu, Ignazio. Fragen Sie.«
»Was versprechen Sie sich von den Sapienti?«
»Selbst wenn es uns in Zusammenarbeit mit der europäischen Polizei gelingt, die Sechs zu finden … Wir brauchen jemanden, der weiß, wie man sie unschädlich macht. Mit gewöhnlichen Methoden ist das kaum möglich.«
»Und die Zeit wird knapp …«, murmelte Ignazio.
»Ja. Suchen Sie in unseren Bibliotheken und Datenbanken nach Hinweisen. Recherchieren Sie. Sie bekommen von mir jede Hilfe, die Sie brauchen. Vielleicht gelingt es Ihnen, eine Spur zu finden.«
Ignazio deutete eine Verbeugung an. »Ich mache mich sofort an die Arbeit, Heiliger Vater.«
27
Hamburg
W olfgang Kessler saß in seinem Büro, scrollte durch die Bildschirmseiten der nächsten Zack! -Ausgabe und sah sich das Layout an, ohne es wirklich zu sehen. Die Gedanken schweiften immer wieder ab und kehrten zu der Begegnung mit Roland Singerer zurück. In seiner Erinnerung sah er die grauen Augen des BND-Mannes und versuchte, in dem kühlen Blick mehr zu erkennen, als das Gesicht preisgab. Ein echter Profi, so viel stand fest. Jemand, der in seiner Arbeit aufging und keine leeren Drohungen ausstieß. Kessler fragte sich, ob Singerers Vollmachten wirklich so weit gingen, weitere Ausgaben von Zack! zu unterbinden. Für den Verlag wäre das eine wirtschaftliche Katastrophe gewesen, die ihn vermutlich den Posten des Chefredakteurs gekostet hätte.
Das Handy klingelte, ohne dass eine Nummer im Display erschien. Kessler nahm das kleine Telefon und hob es zum Ohr, nachdem er die grüne Taste gedrückt hatte. »Ja?«
»Ich habe wieder etwas für Sie«, erklang die Stimme eines Mannes.
Etwas in Kessler versteifte sich. Er erkannte die Stimme sofort: Krokus. Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich, dass die Tür seines Büros geschlossen war.
»Hören Sie mich, Kessler?«, fragte der Mann.
»Singerer war heute Nachmittag bei mir«, sagte Kessler. Er sprach leise.
»Ich weiß.«
»Sie wissen davon?«, entfuhr es Kessler erstaunt.
»Ich weiß auch, dass er Ihnen jemanden ins Nest gesetzt hat, einen gewissen Rolf. Ein Computerfachmann mit
Weitere Kostenlose Bücher