Äon - Roman
und als der Lüfter nicht mehr summte, wurde es so still, dass man das Brummen des abendlichen Verkehrs durch die Doppelverglasung der Fenster hören konnte. Es war ein herrlich normales und vertrautes Geräusch, aber es kam aus der Ferne, und um es zu erreichen, musste er durch den Flur.
Torensen fiel ihm ein, und ein Schauder begleitete die Erinnerungen an ihn. Die Mörderin hatte ihn in seiner Wohnung überrascht …
Kessler erstarrte, als in einem der anderen Büros etwas klapperte. Das Herz schlug ihm plötzlich bis zum Hals, und instinktiv hob er sein Handy. Sollte er die Polizei verständigen? Für einige Sekunden spielte er mit dem Gedanken, Singerer anzurufen, der verlangt hatte, ihn zu benachrichtigen, wenn sich Krokus noch einmal meldete, doch dann verwarf er diese Idee. Mach dich nicht lächerlich, dachte er. Wahrscheinlich hat dies gar nichts zu bedeuten.
Trotzdem nahm er einen spitzen Brieföffner aus Metall, bevor er sein Büro verließ. Er schaltete erst das Licht im Flur ein und dann das im Büro aus. Der Teppichboden verschluckte das Geräusch seiner Schritte, als er durch den Flur ging, und er musste sich zwingen, nicht wie ein verängstigtes Kind loszulaufen. Als ihn nur noch wenige Meter von der Tür am Ende des Flurs trennten, glaubte er, jemanden atmen zu hören, und etwas strich ihm über den Nacken, weich wie eine Feder. Er wirbelte erschrocken herum, doch der Flur war so leer wie zuvor.
Entnervt brachte er die letzten Meter hinter sich, riss die Tür auf, trat rasch ins Treppenhaus und zog die Tür hinter sich zu.
Kessler holte mehrmals tief Luft und versuchte, sich zu beruhigen. Den Brieföffner, stellte er fest, hielt er noch immer in der rechten Hand, wie einen Dolch umklammert. Er blinzelte mehrmals, als erwachte er aus einem schlechten Traum, entschied sich gegen den Lift an der Außenseite des Gebäudes und hastete die Treppe hinunter. Er fragte sich, wie es Alexander Torensen ergangen war. Bestimmt hatte er sich in seiner Wohnung sicher gefühlt, und dann war die Frau zu ihm gekommen und hatte ihn getötet …
Das Geräusch seiner hastigen Schritte schien ein Echo zu haben, und Kessler warf einen Blick über die Schulter - niemand folgte ihm.
Zwanzig Sekunden später, draußen auf dem Parkplatz, wagte es Kessler, erleichtert aufzuatmen. Er kam sich plötzlich wie ein Narr vor. Einfach so in Panik zu geraten … Er blickte an dem alten, herrschaftlichen Haus mit den Verlagsbüros empor, und im gleichen Moment ging im dritten Stock, wo sich die Zack! -Redaktion befand, das Licht in einem der Zimmer aus.
Kessler starrte nach oben und fragte sich, ob die Nerven mit ihm durchgingen. Hatte er das Licht wirklich gesehen, oder spielte ihm die Phantasie einen Streich, wie bei den vermeintlichen Schritten auf der Treppe? Er drehte sich um, ging zum Parkplatz und merkte, dass es zu nieseln begonnen hatte. Als er den Knopf der Fernbedienung drückte, leuchteten die vier Blinker seines Mazda 6 und bestätigten damit die Entriegelung der Türen. Kessler stieg ein, zog die Tür zu, steckte den
Schlüssel ins Zündschloss, zögerte und atmete noch einmal tief durch. Es war kalt, nicht mehr als sieben oder acht Grad, aber ihm stand der Schweiß auf der Stirn. Was war los mit ihm? Wortlos verfluchte er sich selbst. Er ließ sich doch sonst nicht so leicht aus der Ruhe bringen; eine lächerliche aufspringende Tür hatte genügt, ihn in ein Nervenbündel zu verwandeln.
Als er den Zündschlüssel drehen wollte, stellte er fest, dass er das Handy noch immer in der linken Hand hielt. Der Brieföffner … Wo war der Brieföffner? Nach einer kurzen, hektischen Suche fand Kessler ihn auf dem Beifahrersitz und schüttelte den Kopf. Er sah auf das Handy hinab und überlegte, ob er Singerer jetzt anrufen sollte. Um ihm was zu sagen? Dass er begonnen hatte, Gespenster zu sehen? Gerädert wie er war, erschien es ihm besser, das Gespräch mit dem BND-Mann auf den nächsten Tag zu verschieben. Sebastian fiel ihm ein. Inzwischen war er sicher längst in Riga eingetroffen, aber er hatte sich noch nicht gemeldet. Kessler holte Sebastians Nummer aufs Display, doch sein Finger verharrte über der grünen Ruftaste, ohne sie zu drücken. Er schüttelte erneut den Kopf, legte das Handy zum Brieföffner auf den Beifahrersitz anstatt auf die Mittelkonsole und startete den Motor. Als er den Mazda zur Ausfahrt des Parkplatzes rollen ließ, flammten hinter ihm zwei Scheinwerfer auf, und ein Wagen folgte. Dies bildete er
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