Aeon
ohne sich den Hals zu brechen. Ann wartete schon am Fuß der Treppe mit einem Glas Wasser und Tabletten.
»Scheiße, was ist das?«, fragte Hoffman, die die Pillen schluckte.
»Hyperkoffein«, erklärte Ann. »Hat Lanier ständig genommen.«
Hoffman schluckte zwei davon mit Wasser.
»Was ist’s diesmal?«, fragte Ann, die ganz blass war. »Doch nicht schon wieder ein Angriff?«
»Nicht von außen«, antwortete Hoffman. »Wo sind Wallace und Polk?«
»Zweite Kammer.«
»Sollen in die vierte kommen, Lager null, oder mich beim Zug treffen.«
Hoffman lief nach draußen und rief nach einem Laster zur zweiten Kammer. General Gerhardt stapfte mit seinem Funkgerät in der Hand aus der Cafeteria, rief nach Marines und winkte Hoffman zu, ihm zu folgen. Doreen Cunningham, die beim Zaun wartete, deutete wortlos auf zwei Laster, die an der Rampe standen.
Sie kletterten gerade in den nächsten Laster, als im wissenschaftlichen Lager Alarm gegeben wurde. Hoffman trat zurück und hob instinktiv den Kopf. Über ihnen schwebte ein silbernes Kreuz. Die dicke Kugel am unteren Ende verlieh ihm ein drohendes und zugleich albernes Aussehen. Es erinnerte Hoffman an irgendeine fremdländische Waffe in einem Karate-Film aus den Achtzigern.
»Das ist nichts Russisches, was?«, fragte sie.
»Auf keinen Fall«, erwiderte Gerhardt, der sich mit vorgehaltenen Händen gegen das Röhrenlicht schützte. Das Kreuz umkreiste das Lager, stieg dann in die Höhe, bis es nur noch stecknadelkopfgroß vor der Plasmaröhre zu erkennen war, und verschwand dann. »Ein Spuk, ein echter Spuk!«
Bei Sonnenuntergang überzog sich der Himmel nachtblau. Wo die flache rote Sonnenscheibe im Meer versank, stand eine dunkle Wolkenbank, die vom Horizont zum Zenit zog, wo sie strahlenförmig in rot geränderte Flocken zerfiel. Farley und Carrolson hatten sich vor einer Stunde zurückgezogen; ein Timbl-Tag dauerte etwa vierzig Stunden. Lanier, der seinen Gedanken nachhing, konnte noch nicht schlafen. Er beobachtete von seiner Veranda aus den Sonnenuntergang; neben ihm saß Heineman. Patricia war seit dem Gespräch mit Toller noch in ihrem Zimmer.
Barfuß und mit kurzer Hose und einem langärmeligen blauen Jackett spazierte in wenigen Metern Entfernung Olmy über den Sandstrand, sah die beiden und kam näher. »Mr. Heineman, Mr. Lanier«, sagte er. Sie begrüßten ihn mit einem Kopfnicken wie vornehme Gentlemen; es fehlten nur noch Pfeife, Smoking und Cocktails, um das Bild feiner Leute zu vervollständigen. »Gefällt es Ihnen hier?«
»Sehr«, antwortete Lanier. »Das erste echte Wetter seit Monaten.«
»Seit einem Jahr für mich«, fügte Heineman hinzu.
»Noch viel länger für mich«, sagte Olmy. »Mein letzter Einsatz in einer Außenwelt liegt …« – er schien zu überlegen – »… liegt schon fünfzehn Jahre zurück. Und auf dieser Welt war ich vor fünfzig Jahren das letzte Mal.«
»Sie sind ein vielbeschäftigter Mann, nicht wahr?«, bemerkte Heineman, an Olmy gerichtet.
»In der Tat. Wie geht’s Patricia? Ser Toller hat mit ihr geredet, soviel ich weiß. Sie ist noch in ihrem Zimmer?«
»Ja«, antwortete Lanier. »Ich gehe später nach ihr sehen, damit sie etwas isst.«
»Sie ist neuerdings recht angespannt und verkrampft, nicht wahr?«
»Praktisch seit sie auf dem Stein … ah … der Thistledown ist«, erwiderte Lanier. »Wir haben ihr eine gewaltige Verantwortung aufgebürdet. Das war einfach zu viel für sie.«
»Ihr dachtet, sie könne das Rätsel der Thistledown lösen?«
»Wir dachten, sie könnte uns sagen, ob das, was in den Bibliotheken zu finden war, auch für unsere Welt gelte. Wie sich zeigte …«
»Ja und nein«, ergänzte Olmy für ihn.
Lanier sah ihn verdutzt an, nickte dann und blickte wieder in den Abend hinein. »Sie verhält sich ziemlich eigenartig – selbst wenn man die Umstände berücksichtigt.«
Olmy lehnte sich aufs Verandageländer. »Nachdem wir in der Axis City ankamen, hatte ich ein sehr langes und interessantes Gespräch mit Patricia. Sie war sehr wissensdurstig in Bezug auf die Stadt und uns und erpicht, in diese Gesellschaft hineinzuwachsen. Besonders neugierig war sie in Bezug auf die Toröffnung. Das ist einer der Gründe, warum wir demnächst einer Toröffnung beiwohnen. Hat sie euch von ihren wichtigsten Plänen erzählt?«
»Glaube ich nicht«, sagte Lanier. Heineman beugte sich vor und sah Olmy gespannt an.
»Bei ihrer Entführung war sie gerade unterwegs zur Bibliothek, wo sie ihre Arbeit
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