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Aeon

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Titel: Aeon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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die sechste Kammer nur den Zweck gehabt, die Massenträgheit ausgewählter Gegenstände im Stein parallel zur Achse zu dämpfen. Diese Funktion hatte ein kanalartig eingefasstes Flussbett, eine spezielle Architektur der Gebäude und eine insgesamt andere Anlage der Kammern selbst überflüssig gemacht.
    Zu Beginn der Steinkonstruktion war als Obergrenze für Vorwärts- und Bremsbeschleunigung drei Prozent g festgelegt worden. Dank der Maschinerie in der sechsten Kammer erübrigte sich jede Begrenzung der Beschleunigungskräfte. Die Kammern des Steins bildeten ein kontrolliertes, in sich abgeschlossenes System, in das keine äußeren Einflüsse mehr hereinwirkten.
    In ganzen Kapiteln wurde erklärt, warum die Dämpfung nicht allgemein wirkte; in diesem Fall hätte sich die Rotation des Steins nämlich erübrigt und würde alles innerhalb der Kammern schwerelos umherfliegen. Vielmehr wurde extrem selektiv gedämpft.
    Und das waren superwissenschaftliche Sachen, die Erstaunliches implizierten. Was die Maschinerie der sechsten Kammer an sich bewirkte, war eine Änderung des Masse-Raum-Zeit-Charakters im Stein.
    Von da aus war es kein großer Schritt mehr zur Beeinflussung von Raum und Zeit – wie in der Gestalt des Korridors geschehen.
    Freilich bewegte sich der Stein nicht schneller als das Licht und hatte keine Schwerkraft – jedenfalls nicht in den ersten sechs Kammern. Angesichts der Trägheitspufferung wären diese Errungenschaften durchaus zu erwarten gewesen. Warum hatten die Ingenieure und Physiker des Steins diese gedankliche Schleife nicht vollzogen?
    Patricia suchte wieder die Bibliothek von Alexandria auf und blätterte durch die Bände, die aber keine Antworten lieferten, da sie sich hauptsächlich mit der Theorie und Wartung bestimmter Maschinen auf dem Stein befassten.
    Auf der Pritsche im Lesesaal ausgestreckt, bedeckte sie das Gesicht mit den Händen, drückte auf den Nasenrücken und rieb sich schließlich die Augen. Ihr Kopf war schwer. Zu viel Konzentration. Zu wenig Zeit. Sie versuchte, auf eine ganze Reihe von Problemen vorzeitige Antworten zu erzwingen.
    Sie musste Pause machen. Also stand sie auf und folgte den Lichtleisten ins Erdgeschoss, wo sie ins Freie ging und sich auf eine Bank um ein Pflanzbecken aus Beton ohne Bewuchs ins Röhrenlicht setzte.
    Sie versuchte, alle bewussten Gedanken auszusperren, um wieder in den Zustand zu geraten, was misslang.
    Ständig schossen ihr Gedanken an Paul und ihre Familie durch den Kopf.
    »Ich verzettle mich«, sagte sie kopfschüttelnd. Sie fühlte sich immer mehr reduziert auf eine Reihe von Gedanken, die in grauer Leere schwebten, auf einem Zerebralpunkt. Überarbeitet.
    Dann – eine Kluft in der Leere.
    Sie hatte sich einmal mit gebrochenen Räumen befasst – einzelnen Dimensionen, ohne Gegenstück auskommend, und Dimensionen aus kleineren als Einheitszahlen. Zeit ohne Raum; Länge ohne Breite, Tiefe oder Zeit. Wahrscheinlichkeit ohne Ausdehnung. Halbräume, Viertelräume, Räume aus irrationalen Brüchen. Allesamt zu behandeln durch Bruchumwandlung und geometrische Teilbetrachtung. Sie hatte sogar damit begonnen, die Geodäsie höherer gebrochener Räume und deren fünf- und vierfach räumliche Projektion darzustellen.
    Sie senkte den Kopf auf die Knie. Ihre Gedanken waren gegen läufig. Ungeordnet, undiszipliniert.
    Der Korridor – einfach eine Erweiterung der Maschinerie der sechsten Kammer, zur Trägheitspufferung bestimmt.
    Auf ihrer jahrhundertelangen Reise hatten die Steinler sich vielleicht anders besonnen oder das ursprüngliche Ziel aus den Augen verloren. Als eigene Welt hatte der Stein nachfolgenden Generationen seinen eigenen Charakter aufgeprägt, bis es nur noch natürlich schien, in rotierenden Zylindern zu leben, die in asteroides Gestein getrieben worden waren. Mit der Zeit war vielleicht sogar der asteroide Aspekt aus dem unmittelbaren Bewusstsein verschwunden, sodass nur das Leben im Zylinder blieb.
    Über Jahrhunderte hinweg eingezwängt und eingesperrt und von den Wahrnehmungen des Steins gespeist, brach das Genie der Steinler zornig los. Sie schwangen sich in gottgleiche Höhen und schufen ein eigenes Universum nach dem Vorbild der Welt, die ihnen vertraut war.
    Als sie einen Weg aus dem Stein fanden, ohne die eigentliche Mission zu verleugnen …
    Als sie feststellten, sie könnten eine unbeschreibliche Ausdehnung ihrer Welt schaffen …
    Wäre irgendeiner der Steinler in der Lage gewesen, der Ver suchung zu widerstehen? (Ja,

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