Aerger im Bellona-Club
Bild; es war der Kopf eines totenblassen Mannes mit düsterem Lächeln und leicht schielendem Blick – ein Rückfall ins Spießertum, fast einem menschlichen Wesen ähnlich. Also wurde es wieder weggestellt, und Parker versuchte sich auf eine Madonna mit Kind zu konzentrieren, die für seine von schlichter Frömmigkeit geprägten Begriffe eine abscheuliche Blasphemie war.
Zum Glück wurde Miss Dorland bald darauf sogar selbst ihrer Malerei überdrüssig und stellte die Bilder alle zurück in die Ecke.
»Wollen Sie sonst noch etwas?« fragte sie unvermittelt. »Hier ist die Adresse.«
»Nur noch eine Frage«, sagte er, wobei er ihr fest in die Augen sah. »Bevor Lady Dormer starb – ehe General Fentiman sie besuchen kam , war Ihnen da bekannt, was sie für Sie und ihn in ihrem Testament vorgesehen hatte?«
Die Frau erwiderte seinen Blick, und plötzlich sah er furchtbare Angst in ihren Augen. Sie schien über sie hinwegzuspülen wie eine Welle. Sie krampfte die Hände an den Seiten zusammen und wich mit gequältem Gesichtsausdruck seinem Blick aus, als suchte sie nach einem Ausweg.
»Nun?« fragte Parker.
»Nein!« sagte sie. »Nein! Natürlich nicht. Wieso auch?« Dann schoß überraschend eine knallige Röte in ihr fades Gesicht und wich ebenso schnell wieder zurück. Jetzt sah sie aus wie der Tod.
»Gehen Sie«, sagte sie wütend. »Sie widern mich an!«
18
Lauter Bilder
»Ich habe also einen Mann geschickt und alle die Sachen aus dem Schrank zur Untersuchung abholen lassen«, sagte Parker.
Lord Peter schüttelte den Kopf.
»Ich wollte, ich wäre dabeigewesen«, sagte er. »Diese Gemälde hätte ich mir gern einmal angesehen. Aber «
»Dir hätten sie vielleicht etwas gesagt«, meinte Parker. »Du verstehst ja etwas von Kunst. Natürlich kannst du jederzeit mit mir hingehen und sie dir ansehen. Aber was mich stört, ist der Zeitfaktor. Angenommen, sie hätte ihm das Digitalin in seinen Cognac getan – warum hätte die Wirkung so lange auf sich warten lassen sollen? Nach dem Lehrbuch hätte es nach etwa einer Stunde losgehen müssen. Laut Lubbock war es ja eine ziemlich hohe Dosis.«
»Ich weiß. Ich glaube, die Sache hat wirklich einen Haken. Darum hätte ich ja auch gern einmal die Bilder gesehen.«
Parker dachte ein paar Sekunden über dieses scheinbare non sequitur nach, dann gab er es auf.
»George Fentiman « begann er.
»Ja«, sagte Wimsey, »George Fentiman. Ich glaube, ich werde auf meine alten Tage noch rührselig, Charles, denn ich habe eine unbezwingliche Abneigung dagegen, der Frage nachzugehen, ob George Gelegenheit hatte.«
»Außer Robert«, fuhr Parker unbeirrt fort, »war er von allen interessierten Personen der letzte, der General Fentiman gesehen hat.«
»Ja – übrigens haben wir nur Roberts unbewiesenes Wort für das, was in seiner letzten Unterredung mit dem alten Herrn gesprochen wurde.«
»Hör auf, Wimsey – du wirst mir doch nicht erzählen wollen, daß Robert auch nur das geringste Interesse daran gehabt haben könnte, seinen Großvater vor Lady Dormer sterben zu sehen. Im Gegenteil.«
»Das nicht – aber er könnte ein Interesse daran gehabt haben, daß er starb, bevor er ein Testament machte. Denk mal an die Notizen auf diesem Zettel. Der größere Teil sollte an George gehen. Das stimmt nicht ganz mit dem überein, was Robert uns gesagt hat. Und solange es kein Testament gab, bekam Robert alles.«
»Stimmt. Aber indem er dann den General umbrachte, hätte er zugleich dafür gesorgt, daß er gar nichts bekam.«
»Das war sein Dilemma. Falls er nicht davon ausgegangen ist, daß Lady Dormer bereits tot war. Aber ich wüßte nicht, warum er das hätte annehmen sollen. Oder es könnte höchstens sein «
»Was?«
»Es könnte höchstens sein, daß er seinem Großvater eine Pille oder dergleichen gegeben hat, die er irgendwann später nehmen sollte, und der alte Knabe hat sie versehentlich zu früh genommen.«
»Diese Möglichkeit einer Pille mit verzögerter Wirkung ist das ärgerlichste an dem Fall. Dadurch würde nahezu alles möglich.«
»Selbstverständlich auch, daß Miss Dorland sie ihm gegeben haben könnte.«
»Genau das will ich die Krankenschwester fragen, sobald ich an sie herankomme. Aber wir sind von George abgekommen.«
»Du hast recht. Nehmen wir uns George vor. Obwohl ich nicht mag. Wie diese Frau bei Maeterlinck, die um den Tisch herumrennt, während ihr Mann sie mit dem Beil zu erschlagen versucht, bin ich gar nicht vergnügt.
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