Aerzte zum Verlieben Band 41
die Lippe. Ihr wurde bewusst, wie unfair es von ihr gewesen war, ihn in einen Topf mit ihrem Vater zu werfen. Und mit Greg. Leo versuchte nur, ihr zu helfen.
Sie ließ sich von Murphy zu einem kleinen Sandstrand am Flussufer ziehen, wo sie ihn von der Leine nahm. Aufgeregt bellend stürzte er sich ins seichte Wasser in der Hoffnung, einen Ibis zu fangen.
Als sie sich umdrehte, sah sie zu ihrem Befremden, dass Leo ihr nicht gefolgt war. Er stand oben an der Böschung und rieb sich über die Narbe an seinem Kinn – eine Geste, die ihr schon mehrmals an ihm aufgefallen war, und zwar immer dann, wenn er nervös und angespannt war. Sie musste ihn ziemlich verletzt haben.
Susan ging zu ihm zurück und wartete, bis er sich ihr zuwandte. Statt Ärger, wie sie erwartet hatte, konnte sie in seinen Augen nur Schmerz lesen. „Es tut mir leid“, versicherte sie. „Ich hätte das nicht sagen dürfen. Aber es gibt so viele Parallelen zwischen Pennys und Alecs Schicksal und meinem.
Ich werde wütend und fühle mich hilflos, wenn ich sehe, dass solche Dinge immer wieder passieren.“ Sie setzte sich in den Sand und lehnte sich gegen den herabgefallenen Ast eines Eukalyptusbaums.
Leo ließ sich neben ihr nieder. „Hat dein Vater dich ebenso verlassen?“
Am liebsten hätte Susan dieses Thema sofort beendet. Sie wusste aber auch, dass es keinen Sinn haben würde. Leo war ein scharfsinniger Mensch, der zwei und zwei zusammenzählen konnte. Wenn sie nicht wollte, dass ihre Zusammenarbeit litt, musste sie ihm antworten.
Sie nahm eine Handvoll Sand auf und ließ ihn langsam durch ihre Finger rieseln. „Mein Vater war ein sehr charmanter, aber auch dominierender Mann, der kam und ging, wie es ihm gefiel. Als ich zehn war, trennte meine Mutter sich von ihm. Aber die Erinnerungen sind geblieben.“
Leos Miene war voller Anteilnahme und Interesse. „Woran erinnerst du dich noch?“
Susan blickte starr geradeaus. „Vor allem an die Angst. Und an das Ritual meiner Mutter jeden Abend, bevor er nach Hause kam. Erst bereitete sie das Abendessen zu, dann ging sie in ihr Zimmer, legte frisches Make-up auf und zog ein hübsches Kleid an. Anschließend bestand sie darauf, mir die Haare zu bürsten. Damals hatte ich noch lange Locken. Es war eine Tortur. Dann warteten wir.“
Wir müssen uns hübsch machen für Daddy, damit er uns lieb hat .
Zwischen Leos Brauen erschien eine steile Falte. „Worauf?“
„Auf meinen Vater.“ Noch immer konnte Susan spüren, wie ihre Mutter die Plastikbürste durch ihre langen Locken zog und ihre Kopfhaut höllisch wehgetan hatte. „War er gut gelaunt, schwang er mich im Kreis herum und nannte mich seine Prinzessin, und meiner Mutter machte er Komplimente wegen ihrer Kochkünste. Nach dem Essen drehte er die Musik auf, packte meine Mutter um die Taille und tanzte mit ihr durchs Haus.“
„Und wenn er schlechter Laune war?“
„Dann war er wie ein Taifun, und meine Mutter und ich drängten uns verängstigt zusammen. Wird er uns schlagen oder nicht? Die Angst war immer da, auch wenn er uns nicht schlug.“
„Ich kann mir so etwas überhaupt nicht vorstellen.“ Leo war erschüttert. „Wir sind eine italienische Familie, und du kannst mir glauben, oft ist es mehr als lautstark zugegangen. Aber Angst hat es bei uns nie gegeben.“ Er musste lächeln, als er an verschiedene Begebenheiten dachte. „Wenn wir mal Krach hatten, tat Anna meistens irgendetwas Verrücktes, um unsere Eltern abzulenken, und die Sache war erledigt. Hast du noch Geschwister?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich war Einzelkind.“
„Das tut mir leid.“ Seine Finger berührten flüchtig ihren Handrücken.
Ein heißer Schauer durchlief sie, und sie verachtete sich selbst dafür. Wie konnte sie auf seine mitfühlende, freundschaftliche Geste so heftig reagieren? Hatte sie aus ihren bitteren Erfahrungen denn nichts gelernt? Sie betrachtete die Bäume am anderen Flussufer und zwang sich, weiterzuerzählen.
„Eines Abends schlug er meine Mutter so schwer, dass er ihr einige Rippen brach. Am nächsten Tag wurde ich mit einem Taxi von der Schule abgeholt. Meine Mutter saß darin. Sie hatte einen Koffer mit unseren Sachen gepackt, und wir zogen in ein Frauenhaus.“
Susan vermied es, Leo anzusehen. Sie wollte nicht das Mitleid in seinem Blick lesen.
„Und du hast dich um deine Mutter gekümmert, wie Alec es heute getan hat?“
Sie nickte. Bei dem einfühlsamen Ton in seiner Stimme verspürte sie plötzlich den
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