Aerzte zum Verlieben Band 57
So ein Wochenende hatte sie noch nie erlebt, aber Charlie schien aus Erfahrung zu sprechen. Er faltete das hauchfeine rote Wäschestück zusammen, während er auf ihre Antwort wartete. Dabei sahen seine Hände so stark und männlich aus, dass Bella plötzlich kein Wort herausbrachte. Verlegen schüttelte sie den Kopf.
„Das ist wirklich alles, deine gesamte Wunschliste? Keine großen Projekte, für die du dich begeistern könntest?“
„Was, zum Beispiel?“
„Keine Ahnung … ein Musikinstrument spielen lernen, Marathon laufen, eine Fremdsprache lernen, Sachen, von denen die Leute immer sagen, dass sie sie eines Tages machen wollen.“
„Ich weiß nicht, ob ich genug Zeit dafür habe.“
Charlie sah sie fragend an. „Wieso nicht?“
„Es sind langfristige Ziele.“
„Was ist daran falsch?“
„Nichts.“ Jedenfalls nicht für andere Menschen. „Ich bin es nur nicht gewohnt, in langen Zeiträumen zu denken.“
„Ach so.“
Sie sah ihm an, dass er begriffen hatte. „Ich habe noch nie Pläne geschmiedet“, sagte sie. Auch wenn sich für Mukoviszidose-Patienten in den letzten zwanzig Jahren vieles verbessert hatte, so war ihre Lebenserwartung immer noch vergleichsweise gering.
„Aber wenn du eine neue Lunge bekommst, hast du mehr Kraft. Es gibt doch bestimmt etwas, das du gern tun möchtest.“
„Ich habe gelernt, immer nur kleine Schritte zu gehen“, erklärte sie. „Jedes Mal, wenn ich mir etwas vorgenommen hatte, das viel Zeit brauchte, wurde ich wieder krank und habe es nicht zu Ende bringen können. Ich hätte fast nicht die Highschool geschafft, weil ich so oft gefehlt habe. Also setze ich mir zeitlich überschaubare Ziele.“ Sie blickte ihn an. „Hast du eine genaue Vorstellung davon, wie dein Leben in Zukunft aussehen soll?“
„Auf jeden Fall.“
„Und wie bist du dazu gekommen?“
„Durch Ausprobieren, durch Erfahrungen. Es ergibt sich eben.“
„Wenn du nur noch ein paar Jahre zu leben hättest, würdest du dann irgendetwas anders machen?“
Interessante Frage. Aber Charlie war sich nicht sicher, ob er sich damit intensiv befassen wollte. Gegenwärtig drehten sich seine Ziele ausschließlich um seine berufliche Karriere. Die Medizin hatte ihm neue Chancen eröffnet, als er von einem Tag auf den anderen den Boden unter den Füßen verlor. Weil das Leben, das er geführt hatte, plötzlich nicht mehr existierte. Wenn er nun keine Pläne hätte schmieden können, weil seine Zeit begrenzt war? Hätte er sich mehr angestrengt, eine verlorene Liebe zurückzugewinnen?
Mach dir nichts vor. Es wäre zwecklos gewesen. Seine Träume waren nicht gestorben, sondern zerstört worden. Er hatte keine Chance gehabt.
„Kann ich nicht sagen. Sicher, bei manchem wünsche ich mir wohl, dass es anders verlaufen wäre, aber es lag nicht in meiner Hand“, meinte er. „Nichts passiert ohne Grund. Der Sinn erschließt sich uns oft erst viel später. Eine Tür fällt zu, eine neue öffnet sich.“
„Mich beschäftigt im Moment nur, dass sich für mich alle Türen schließen könnten. Wenn ich die Operation überlebe, kann ich immer noch eine neue Liste aufstellen. Aber jetzt möchte ich erst einmal nur das nachholen, was ich verpasst habe.“
„Das verstehe ich. Trotzdem finde ich, dass du dir ein, zwei Sachen für die Zeit nach der Transplantation vornehmen solltest. Etwas, worauf du dich freuen kannst. Nach vorn blicken statt zurück. Da muss es etwas geben.“
Als sie nicht sofort antwortete, fragte sich Charlie, ob sie es vielleicht noch nie gewagt hatte, von der Zukunft zu träumen. Hatte sie wirklich keine Wünsche? Er hatte noch nie jemanden kennengelernt, der so selbstlos war wie Bella.
Sie beugte sich wieder über das Skizzenbuch. Ihre zarte Hand flog über das Blatt, und vor seinen Augen entstanden zierliche hochhackige Schuhe, mit feinen Riemchen und besetzt mit funkelnden Strasssteinen. Cinderella-Schuhe, dachte er.
Dann, so plötzlich wie sie mit dem Zeichnen begonnen hatte, hörte sie wieder auf. „Modedesign“, flüsterte sie.
„Modedesign?“
Sie nickte. „Das ist mein Traum … Modedesign zu studieren.“
„Warum tust du es nicht längst?“
„Ich muss eine schriftliche Bewerbung einreichen.“ Neben sechs Beispielen ihrer Arbeit. Aber das war einfach. Bella hatte Hunderte von Skizzen und fertigen Designs, unter denen sie wählen konnte.
„Und?“
„Ich habe den schriftlichen Teil noch nicht geschafft.“ Wegen ihrer Legasthenie hatte sie nie gern gelesen,
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