Aerzte zum Verlieben Band 58
Annies Zimmer betreten konnte, kam Emily heraus. „Die Fruchtblase ist geplatzt. Die Geburt hat eingesetzt.“
Wie er befürchtet hatte. „Wir nehmen deinen Wagen, das geht schneller, als wenn wir erst einen Krankenwagen holen. Ich rufe im Harbour an, dass wir kommen.“
Emily war die Angst anzusehen, und am liebsten hätte Marco sie in die Arme genommen, um sie zu beruhigen. Aber das musste warten.
„Und wenn unterwegs das Baby kommt?“
„Das schaffen wir auch, wir sind vom Fach. Außerdem sind es nur ein paar Minuten bis zum Krankenhaus. Hol den Wagen, ich bringe sie nach draußen.“
An die Fahrt erinnerte sich Emily später kaum noch. Sie wusste nur, dass sie verzweifelt versuchte, sich einzureden, dass Annie irgendeine Patientin war, die sie betreute. Tatsächlich reagierte sie ruhig und beherrscht, als ihre Tochter in Panik geriet. Auch wenn ihr nach Heulen und Schreien zumute war. Rodney hielt die ganze Zeit Annies Hand.
Dank Marcos Anruf war die Station vorgewarnt, und man wartete bereits mit einer Rollliege auf Annie.
Teo stand im Kreißsaal, zusammen mit Spezialisten von der Säuglingsintensivstation. Eine der Krankenschwestern war schon dabei gewesen, als Annie zur Welt kam.
Und Marco war immer da. Gelassen und besonnen behielt er den Überblick, ordnete die Medikation an und ließ keine Sekunde lang Zweifel daran aufgekommen, dass das Team alles im Griff hatte.
Siebenundzwanzigste Woche, dreizehn Wochen zu früh. Wie in einer Zeitschleuder wurde Emily zurückgeworfen zu dem Tag, als sie ihre Tochter zur Welt brachte. Sie wusste noch wie heute, wie zerbrechlich ihr das zarte Wesen vorgekommen war, wie Respekt einflößend all die Geräte, Kabel und Schläuche in der Babyintensivstation auf sie gewirkt hatten. Aber all das war nichts im Vergleich zu dem, was Annie bevorstand.
Emilys Enkelin würde winzig sein, in den Händen eines Mannes wie eine Puppe, mager, zerknittert, mit durchscheinender Haut, unter der man das Blut pulsieren sehen konnte. Kleine Augen, nur einen Spalt geöffnet. Ein Kind, anfällig für Infektionen, das Mühe hatte, richtig zu atmen, Nahrung aufzunehmen und zu verdauen. Und das über Monate. Immer bedroht davon, krank zu werden und den nächsten Tag nicht zu erleben.
Warum? Warum musste das passieren? Wie hätte sie es verhindern können? Auf keinen Fall hätte sie mit Marco das Haus verlassen dürfen …
Er sah ihr an, dass sie Angst hatte, wollte zu ihr gehen, sie beschützen, ihr Mut machen, Hoffnung. Ihr sagen, dass alles gut gehen würde, aber er war sich selbst nicht sicher, ob er ein solches Versprechen halten konnte.
Dann kam das Baby, und er blendete jeden anderen Gedanken aus.
In der nächsten Stunde kämpfte Rosebud um ihr Leben.
Als sie auf die Intensivstation gebracht wurde, waren alle dabei: Annie im Rollstuhl, zitternd von der Anstrengung der Geburt, neben ihr Rodney, der wieder ihre Hand hielt, mit geröteten Augen, und Emily, die insgeheim auch zittern musste, aber sich nichts anmerken ließ. Wie eine erfahrene Hebamme begleitete sie ihre Tochter, beruhigte, erklärte, bewies immer wieder Stärke. Marco hielt sich im Hintergrund.
Teo und sein Team von Intensivmedizinern arbeiteten wie eine Präzisionsmaschine. Männer und Frauen, bei denen jeder Handgriff saß, weil sie tagtäglich die Aufgabe meistern mussten, winzige Frühchen am Leben zu erhalten. Für sie Routine, für die Familie Cooper nicht.
Rosebud wurde intubiert und künstlich beatmet mit genau bemessener Sauerstoffzufuhr, ein Hauch nur, der in regelmäßigen Abständen in ihren kleinen Körper strömte. Ein Körper, der zu schwach war, um selbstständig Luft zu holen. Intravenöse Zugänge steckten in dünnen Venen, Blutgefäßen so zart wie Spinnweben. Auf der kleinen Brust hafteten EKG-Elektroden, überwachten das Herzchen. Zwischen dem Pfeifen und Piepsen der Maschinen waren gedämpfte Stimmen zu hören, wenn das Team sich beriet.
Marco hatte dieses Ringen mit dem Tod bei Neugeborenen oft gesehen, vor allem in seiner Zeit als Assistenzarzt. Damals entschied er sich für die Geburtshilfe, und jetzt, während er am Rand des Geschehens stand, wusste er auch, warum.
Auch Emily konnte nur zusehen. Als sie vom Babybettchen zurückwich, bis sie die kalte Wand im Rücken spürte, fühlte sie sich wie abgekoppelt. Sie war unfähig zu glauben, was sich vor ihren Augen abspielte.
Annie war nicht so zerbrechlich gewesen wie dieses Kind, aber die Gefühle, die sie damals vor sechzehn Jahren
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