Aerzte zum Verlieben Band 58
empfunden hatte, waren die gleichen wie jetzt: Angst, Hilflosigkeit und ein endloses Bedauern, dass ihrer Enkelin nicht die normale schöne Geburt vergönnt war, die sie in drei Monaten hätte haben können.
Bebend holte sie tief Luft. Emily wollte stark sein … für Annie, für Rosebud, ja, sogar für Rodney. Der junge Mann war so liebevoll zu Annie, so voller Bewunderung und Zärtlichkeit für sie und auch für seine winzige Tochter, wie Emily es bei ihrer ersten Begegnung nie vermutet hätte.
Sie wischte eine ungehorsame Träne weg. Ich werde nicht weinen, dachte sie trotzig. Nicht hier, und nicht jetzt.
Oh, sie hatte es so satt, stark sein zu müssen.
Vor sechzehn Jahren hatte sie sich gegen ihre Eltern aufgelehnt und durchgesetzt, dass sie ihr Baby nicht zur Adoption freigeben musste. Egal, was die Leute sagten! Nach der Geburt hatten sie sie nur ein einziges Mal besucht und sich nicht einmal dazu überwinden können, ihre Enkelin auf den Arm zu nehmen. In dem Moment hatte Emily beschlossen, dass ihr Kind nicht in dieser Gefühlskälte aufwachsen sollte.
Am Tag ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus packte sie ihre Schulsachen, die wenige Babykleidung, die sie sich von ihrem Taschengeld gekauft hatte, und ging zu ihrer Großmutter, die sie mit offenen Armen aufnahm.
Emily war fest entschlossen, für sich und ihre Tochter eine Zukunft aufzubauen, und sie wollte sich und allen anderen beweisen, dass sie nicht nur eine gute, sondern die beste Mutter überhaupt war.
Und auch jetzt konnte sie keine Schwäche zeigen. Sie spürte, dass jemand sie beobachtete, sah auf und genau in Marcos dunkle Augen. Besorgnis las sie darin, Anteilnahme und den Wunsch zu helfen. Einen Moment lang war sie versucht, um Hilfe zu bitten, die Last auch auf seine starken Schultern zu verteilen. Und dann? Wenn sie jetzt schwach wurde, wie würde es ihr gehen, wenn Marco weg war?
Schlimmer als vorher. Nein, sie durfte ihre Stärke nicht aufs Spiel setzen. Sie hatte sich nie bei jemandem angelehnt, wenn das Leben ihr Knüppel zwischen die Beine warf, sondern die Zähne zusammengebissen und weitergemacht. Und vor allem jetzt konnte sie sich keine Schwäche leisten, sie brauchte ihre Kraft für Annie und Rosebud.
Was muss sie durchmachen? dachte Marco. Mit Macht zog es ihn zu ihr hin, aber er beherrschte sich. Er durfte sich nicht noch mehr auf sie einlassen.
Doch sie brauchte jemanden, der ihr beistand. Jemand, der immer für sie da war. Marco blickte sich um. Niemand ging zu ihr, sie war allein. Plötzlich sah er die Ähnlichkeit: Emily war allein auf sich gestellt, hatte niemanden – genau wie er auch. Und trotzdem war sie ein herzlicher Mensch geblieben, der Freundschaften schloss und anderen offen zeigte, dass sie sich um sie sorgte, dass sie ihr wichtig waren. Das war der Unterschied zwischen ihnen. Er konnte so etwas nicht.
Noch etwas beschäftigte ihn. Ob sie ihm Vorwürfe machte? Hätte er voraussehen können, dass bei Annie frühzeitig Wehen einsetzten? Hätte er sie nach der OP länger hierbehalten müssen? Andererseits wusste er, dass die Kollegen in anderen Krankenhäusern genauso gehandelt hätten wie er. Außerdem hätte niemand diese Geburt stoppen können. Marco hielt es nicht mehr aus, er ging zu Emily.
„Emily?“ Er berührte ihre Schulter, strich ihr sanft das Haar aus dem Gesicht. „Gut, dass Rosebud schon Cortison bekommen hat, das wird ihren Lungen helfen.“
Sie sah ihn an, doch er hatte das seltsame Gefühl, dass sie durch ihn hindurchblickte. „Sie ist so unglaublich klein.“
Marco ließ die Hand sinken, hob sie unschlüssig wieder. „Was kann ich tun? Wie kann ich dir helfen?“
Emily wich einen Schritt zurück, außer Reichweite seiner Hand. „Wir kommen klar, wir schaffen das schon.“
„Lass mich für dich da sein. Für dich, für Annie und für Rosebud. Du musst lernen, die Last zu teilen.“
„Mit wem denn, Marco? Mit dir etwa, einem Mann, der mein Leben bereits auf den Kopf gestellt hat? Der mich Dinge wünschen lässt, die ich nicht haben kann? Was wir hatten, war gut. Aber es ist vorbei. Und was ich will, zählt jetzt nicht, ich habe keine Zeit für mich.“ Besorgt sah sie zu ihrer Enkeltochter. „Sieh sie dir doch an. Sie ist so zart und zerbrechlich wie ein Schmetterling.“ Emily schüttelte den Kopf. „Auch für dich habe ich keine Zeit.“
Warum auch? Er war nur auf der Durchreise. Trotzdem tat die Zurückweisung weh. Marco nickte. Im Moment half er ihr wirklich nicht, also
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