Aerzte Zum Verlieben Band 59
großen Haus, nur wenige hundert Meter vom Wasser entfernt. Jetzt verrenkte er sich fast den Hals, um einen Blick auf das alte Gebäude zu erhaschen.
„Sieht nicht besser aus als früher“, meinte er.
Das Haus war schon damals heruntergekommen gewesen. Aber sie hatten eine wundervolle Zeit dort verbracht …
„Vielleicht wird es immer noch an Studenten vermietet.“
Ava parkte den Wagen so nahe wie möglich am Strand. Die Sonne stand tief über dem Wasser und vergoldete es mit ihrem schwächer werdenden Licht. Am Ufer tummelten sich Teenager, Jogger liefen durch den Sand, Spaziergänger, allein oder zu zweit wie sie, genossen die friedliche Stimmung.
Das Schweigen zwischen Ava und James war nicht unangenehm, eher nachdenklich. James brach es als Erster.
„Danke. Ich glaube, mir ist die Decke auf den Kopf gefallen.“
„Es ist schön, hier am Wasser entlangzugehen.“ So friedlich, dachte sie. „Früher sind wir abends oft spazierengegangen.“ Sie versetzte ihm einen sanften Stoß in die Seite. „Bevor du hochwichtig geworden bist.“
Damit spielte sie auf seine Beförderung vor zwei Jahren an. James hätte antworten können, dass es nicht gerade verlockend gewesen war, nach Hause zu kommen. Aber er schwieg und dachte über ihre Bemerkung nach. Gefühle, Ereignisse, alles war miteinander verwoben, eins bedingte das andere. Die Entwicklung der letzten Jahre zu erklären, erschien ihm wie eine Herkules-Aufgabe. Doch heute Abend – bevor sich morgen sein Schicksal entschied – versuchte er es.
„Das tut mir leid.“ Eine Entschuldigung hatte sie nicht erwartet. Er sah es an dem verwunderten Blick, den sie ihm zuwarf. „Ich dränge Patienten ungern“, fuhr er fort. „Also habe ich die schwierigen Fälle zum Schluss einbestellt, damit die anderen nicht so lange warten müssen. Man tut, was man kann, um allen gerecht zu werden.“
Ihm fiel auf, dass er sich noch nie die Mühe gemacht hatte, sein Verhalten zu erklären. „Letzte Woche, zum Beispiel, als ich den Knoten entdeckt hatte, da hat Blake an dem Vormittag sämtliche Termine umgestellt. Und wenn meine Ergebnisse da sind, möchte ich nicht nur ein Zehn-Minuten-Gespräch.“ Er lachte trocken. „Na ja, vielleicht doch.“
James wünschte sich eine zehnminütige ausführliche Entschuldigung von Blake, dass es sich um einen unerklärlichen Irrtum handele, dass die Pathologie nichts gefunden hätte, absolut nichts, und dass er keine Ahnung habe, wie die Bluttests derart durcheinandergeraten seien. Genau das sagte er Ava, und sie lächelte.
„Um noch mal auf die Zeit zurückzukommen“, fuhr er fort. „Ich möchte mir so viel Zeit wie möglich für meine Patienten nehmen, vor allem für die, denen ich kaum Hoffnung machen kann. Deshalb hat es abends oft länger gedauert.“ Bedauernd zuckte er mit den breiten Schultern. „Auf unsere Kosten, hm?“
„Das war es nicht allein.“ Ava sah, wie er zusammenzuckte. „Alles in Ordnung?“
„Auf Sand zu laufen ist anstrengender, als ich dachte“, sagte er und betrachtete den weiten Strand.
Hier hatten sie eines Abends, beide so viel jünger als heute, nach einer Studentenparty festgestellt, wie sehr sie sich mochten. Aber dieser Ort schien heute unerreichbar weit weg zu sein. Während sie umkehrten und zum Wagen zurückgingen, fragte sich Ava, ob James sich an jene Stunden genauso gut erinnerte wie sie.
„Freust du dich auf die Semesterferien?“, hatte er gefragt.
Sie hatten die Party verlassen, einer Meinung darin, dass es dort zu laut zum Reden war. Die Klausuren lagen hinter ihnen, und der Sommer lockte. Aber Ava konnte nur daran denken, dass sie James unerträglich lange drei Monate nicht sehen würde. Sie war seit einer Ewigkeit in ihn verknallt, hatte aber nur gelegentlich kurz mit ihm gesprochen. Und jetzt, nachdem die Dinge endlich ins Rollen gekommen waren und James und sie richtig miteinander redeten, würde sie ihn hundert Jahre nicht sehen. So kam es ihr jedenfalls vor.
Natürlich hätte sie das vor ihm nie zugegeben. Also verdrehte sie die Wahrheit ins Gegenteil und antwortete, ja, sie freue sich auf die Ferien.
„Hast du etwas Besonderes vor?“, fragte er dann.
„Na ja, im Januar habe ich Geburtstag, und Mum und Dad haben mir einen Flug nach Queensland angeboten, damit ich meine Cousine besuchen kann.“
„Kein Oneway-Ticket, hoffentlich.“
„Ich werde noch mal nachsehen.“ Ava lächelte, während sie sich in den Sand setzte. „Zuzutrauen wäre es ihnen.“
Sie
Weitere Kostenlose Bücher