Aerzte Zum Verlieben Band 59
Oh, jetzt fällt’s mir wieder ein: ‚Ich brauche Ruhe‘. Deine eigenen Worte, Ava. Und genau das will ich jetzt auch … meine Ruhe!“
5. KAPITEL
James machte dicht.
Er hätte auch ein Schild um den Hals tragen können: Bis auf Weiteres geschlossen.
Das hatte Ava bei ihm bisher nur ein Mal erlebt – als sein Vater gestorben war, eine Woche nach dem Rugbyunfall. Zwei Tage lang hatte er sie nicht an sich herangelassen, nicht mit ihr geredet, sich einfach völlig zurückgezogen. Mit der Zeit verfärbten sich seine Blutergüsse von dunkelviolett zu gelbbraun, und als die Beerdigung stattfand, war zwischen James und Ava wieder alles wie vorher.
Das Wochenende verstrich, und es kam ihr sogar so vor, als hätte James von Tag zu Tag bessere Laune. Er telefonierte mit Freunden, setzte sich am Sonntag für eine Stunde an den PC, um an die fünfzig Bücher für seinen E-Book-Reader zu kaufen, und bestellte sich eine Pizza, bevor er wieder ins Bett ging.
Er bot ihr allerdings nichts davon an, nicht einmal ein kleines Stück. Allerdings, warum sollte er? Sie hatte bisher ja auch immer abgelehnt.
Und das Schlafen auf dem Sofa war die reinste Tortur. Am Sonntagabend vergaß sie auch noch, sich Kleidung für Montag herauszulegen, sodass sie am frühen Morgen leise wie ein Dieb im Schrank wühlen musste. Aber James rührte sich nicht. Er wachte nicht einmal auf, als sie duschte und sich hinterher die Haare fönte.
Vielleicht tat er auch nur so.
Ein reumütiger Gedanke packte sie. Vielleicht stellte er sich schlafend – genau wie sie damals …
„Warum bist du schon wieder da?“ James saß im Bett und telefonierte, beendete das Gespräch aber sofort, als Ava ins Zimmer kam.
„Ich wollte mal nachsehen, wie es dir geht.“ Sie hatte Mittagspause.
„Gut.“ Er hatte ein Computerspiel hochgeladen, und anscheinend betrachtete er die Krankschreibung als Urlaub. Seit der Diagnose hatte er sich nicht mehr rasiert und erinnerte Ava an die Zeiten, wenn sie beide frei gehabt hatten: ein bisschen verlottert, mit leicht zerzausten Haaren und – was doch eigentlich unmöglich war – glücklich und zufrieden.
Ganz im Gegensatz zu Ava.
„Außerdem gibt es Neuigkeiten von Finn, ich dachte, du willst sie hören.“
„Weiß ich schon.“ Er deutete mit dem Kopf auf das Telefon. „Sie haben mir nicht die Ohren abgeschnitten, Ava.“
Die trockene Antwort war so typisch für ihn, dass sie beinahe laut aufgelacht hätte. Aber es gab nichts zu lachen. Finns Zustand war kritisch, und sie sehnte sich danach, mit James darüber zu sprechen. Die Chirurgen hatten die Granatsplitter nicht restlos entfernen können. Einer saß an einer schwer zugänglichen Stelle, und der Versuch, an ihn heranzukommen, hatte Finns Verfassung nur verschlechtert. Zurzeit wurde er künstlich beatmet, und sein Körper befand sich im spinalen Schock, aus dem sich eine Querschnittlähmung entwickeln konnte.
„Es sieht nicht gut aus für Finn“, fuhr sie fort, obwohl James klare Signale aussandte, dass er sich nicht mit ihr unterhalten wollte.
„Abwarten.“
„Ich kann uns nachher etwas Schönes zum Abendessen holen“, bot sie an. „Vielleicht vom Chinesen?“
„Nicht für mich. Mum hat Massen für mich gekocht.“ James schwang die Beine aus dem Bett, marschierte zum Kühlschrank und nahm eine Portion Gewürzhähnchen mit gebratenem Reis aus dem Tiefkühlfach, eins seiner Lieblingsgerichte. Die Menge reicht für ein Pferd, dachte Ava, als sie sah, wie er den Behälter in die Mikrowelle stellte.
Und es sollte ihr gar nicht auffallen, aber obwohl er sich völlig ungesund ernährte, sah er fantastisch aus.
Über seinen Schenkel verliefen Blutergüsse, und James trug ein Suspensorium, doch seine Unterwäsche war modisch schick und sexy. Auf einer seiner Shoppingtouren in Brisbane gekauft, vermutete Ava.
In diesem Moment verspürte sie jedoch keine Eifersucht, ja, sie war nicht einmal wütend. Stattdessen betrachtete sie seine breite Brust, ließ den Blick zu seinen Schenkel gleiten, dann zu seinem flachen Bauch. Als sie aufsah, trafen sich ihre Blicke, verfingen sich kurz. James brach den Augenkontakt als Erster, ziemlich hastig, wie ihr schien.
An einem anderen Tag, zu einer anderen Zeit und unter anderen Umständen würden sie jetzt auf dem Boden liegen, und Ava ahnte, dass er das Gleiche dachte wie sie.
James verzog kurz das Gesicht, richtete sein Suspensorium und ging durch die Küche wieder zum Kühlschrank. Seine beeindruckenden
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