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Aerztekind

Aerztekind

Titel: Aerztekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Wittmann
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Geflügelscheren und Bratenmessern. Verbrennungen zweiten und dritten Grades. Kopfschmerzen. Depressionen. Katerstimmung. Und spätestens an Silvester findet die alljährliche Endzeitstimmung ihren dramatischen Höhepunkt, denn mit einer geradezu unheimlichen Sicherheit wird irgendeinem Idioten die Feuerzangenbowle über die Hand schwappen, oder irgendein Depp wird merken, dass er an einer Rakete besser die Lunte als den Kopf angezündet hätte.
    Weihnachten, das bedeutet für mich, dass mein Vater in der Notfalldienstzentrale ist und meine Mutter tonnenweise Kartoffelsalat zubereitet und Bockwürste kocht, die sie dann zu der bemitleidenswert unterbezahlten Belegschaft fährt, während wir Kinder vor dem Fernseher hocken und uns fragen, warum das TV -Programm an Weihnachten seit Jahren dasselbe ist – und immer gleich schlecht.
    Mein Vater mag Weihnachten nicht. Vielleicht erinnert es ihn zu sehr an seine eigene Kindheit mit einem strengen Vater und einer weichen Mutter, die beide zu früh gestorben sind und ihm daher nicht rechtzeitig die Freuden eines angemessenen Vollrauschs im Kreise seiner Liebsten vermitteln konnten. Vielleicht ist aber auch der doppelte Stundensatz an Feiertagen einfach zu verlockend.
    Jedenfalls war die Konstellation »Weihnachten und mein Vater« nur dann eine erfolgreiche, wenn entweder der Rubel rollte oder der Rodel rutschte. Wenn mein Vater also ausnahmsweise mal keinen Dienst über die Festtage schob, packte er das Auto und fuhr mit uns nach Österreich, nach Norditalien oder in die Schweiz, jedenfalls irgendwohin, wo sich einige einigermaßen Bekloppte ein Paar hübsch lackierte Bretter unter die Füße schnallen und dann leicht angeschickert und in bester Laune mehr oder weniger sportlich die Hänge runterwedeln.
    Ich hab Skifahren nie wirklich gemocht. Zum einen, weil es eine sportliche Betätigung bedeutet und ich mich mit sportlichen Betätigungen aller Art noch nie so richtig anfreunden konnte. Zum anderen, weil man beim Skifahren irgendwie immer falsch angezogen ist, denn entweder friert man wie ein Depp, oder man schwitzt wie ein Schwein, und egal, ob einem nun zu heiß oder zu kalt wird, abends stinkt man wie ein Iltis, und sei es nur nach Angstschweiß, weil man von seinem eigenen Vater wieder mal zur schwarzen Piste gelockt wurde, die »garantiert nur falsch ausgeschildert und eigentlich rot mit Tendenz ins Blaue« ist.
    Das allerdings begriff ich erst während meiner Pubertät, und zu dieser Zeit war ich auch erstmalig in der Lage, einen Urlaub mit selbst gewählter Reisegruppe zu absolvieren und nicht mit der von der Natur willkürlich zugelosten Belegschaft. Bis dahin fuhr ich natürlich brav mit meiner Familie in den Urlaub, so auch in jenen, den Frau Schröder mit ihrem abgehackten Ohr und meine Schwestern mit ihrer Alkoholfahne weihnachtlich stimmungsvoll eingeläutet hatten.
    Wir fuhren gegen Nachmittag endlich los, nachdem mein Vater meinen beiden Schwestern (auch Juliane, die ihr Weicheifieber nur simuliert hatte … Strafe muss sein) ein Zäpfchen verpasst und sie zu absoluter Rücksitzplatzruhe verdonnert hatte. Die Sitzordnung vom Abend zuvor, die der Reiseveranstalter als »gemütliche Kuhlen im Fußraum« angepriesen und erfolgreich an den Mann gebracht hatte, war natürlich vergessen, doch nach einer Weile war ich sogar froh, dass ich den Fensterplatz bekommen hatte, weil Anne die dreihundert Gramm Gummibärchen, die sie vertilgt hatte, vollständig wieder auskotzte und auch Juliane am Brenner aus Solidarität ein Beutelchen füllte.
    Mit zwei Tagen Verspätung am Urlaubsort angekommen, bezogen wir unsere Zimmer, und zu meinem Leidwesen wurde mir auch diesmal kein eigenes zugesprochen. Meine Eltern bekamen wie üblich das große mit dem schönen Bad, ich wie gehabt das kleinere mit den blöden Schwestern. Sofort meldete uns mein Vater bei der hoteleigenen Skischule für unsere Kurse an, denn er hatte große Angst, dass er den gesamten Skiurlaub mit uns heulenden Bündeln verbringen musste. Mir machte das nichts aus, im Gegenteil, denn ein Skikurs bedeutete automatisch, dass ich weder mit meinem Vater noch mit meinen rotznasigen Schwestern den Tag verbringen musste, also weder viel zu schwere Pisten hinuntergejagt noch an den Rand des Wahnsinns getrieben wurde. Normalerweise gab es in jedem Skikurs immer ein paar Teilnehmer, die sich dumm anstellten oder faulenzten oder einfach keinen Bock auf Skifahren hatten (mein Vater nannte das dann immer das Faulfieber),

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