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Aerztekind

Aerztekind

Titel: Aerztekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Wittmann
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verheiratet?«, lispelte Anne.
    »Aber ist die nicht die Frau von Josef?«, grätschte Juliane dazwischen.
    »Äh – nein, und eigentlich tut das auch nichts zur Sache«, sagte mein Vater, mit den Details des heiligen Stammbaums ganz offensichtlich überfordert. »Jedenfalls wurde Maria später auch Madonna genannt. Oder die Mutter Gottes. Und Medi, der Hund, wurde im Labor auch so genannt. Aber wir haben ja jetzt einen viel besseren Namen gefunden.«
    Wir starrten auf den kleinen Beagle, der sich vor uns zusammengerollt hatte und uns mit großen Augen anschaute. Eindeutig angsterfüllt.
    »Medi iß die Mama von Jesus«, lispelte Anne.
    Mein Vater atmete einmal tief ein und aus. »Wisst ihr, Medi hat ein besonderes Schicksal hinter sich: Sie war ein Versuchshund. In dem Labor, aus dem Medi kommt, werden mit Hunden medizinische Versuche durchgeführt. Medi zum Beispiel wurde oft der Bauch aufgeschnitten, weil die Leute im Labor herausfinden wollten, wie bestimmte Medikamente wirken.«
    Wir schwiegen betroffen.
    »Anne, weißt du noch, wie weh das getan hat, als du die Mandeln rausbekommen hast?«
    Anne nickte wild.
    »Genauso weh hat das der Medi auch immer getan. Nur, sie hat noch sehr viel mehr Operationen gehabt als du.«
    »Hat sie danach auch immer so viel Vanilleeis bekommen?«, fragte Juliane mitfühlend.
    »Nein, ich denke nicht«, sagte mein Vater, »aber ihr solltet euch alle eine Scheibe an der Medi abschneiden, weil die immer ganz lieb war und niemanden gebissen hat, wenn sie behandelt wurde. Obwohl die Leute im Labor immer so gemein zu ihr waren.«
    Und später am Abend, als meine Eltern sich ins Kino verabschiedet und uns je einen Gutenachtkuss auf die Stirn gedrückt hatten, schlichen wir uns aus den Betten und verabreichten Medi eine Zweilitervorratspackung Vanilleeis, als Ausgleich, weil sie nach ihren ganzen schrecklichen Operationen nie welches bekommen hatte. Was sein muss, muss sein. Selbst die anschließende Durchfallorgie, die Medi auf dem teuren Perser meiner Eltern im Wohnzimmer feierte.
    Medi war wie gesagt eine wirklich liebe Hündin, aber eben anders … was sich nicht allein in ihrem scheuen Verhalten und ihrer demutsvollen Kopfhaltung ausdrückte (welcher Hund würde nicht angstvoll dreinblicken, wenn eifrige Kinderhände einem alte T-Shirts übers Fell zogen und Sonnenbrillen auf die Schnauze setzten, um dann mit Mikrofonen und Kassettenrekorder Interviews aufzunehmen?). Am Anfang fand ich, dass alles hervorragend klappte: das Treppensteigen-Lernen, das Nicht-in-die-Wohnung-Pinkeln und das verletzungsfreie sporadische Zusammentreffen mit der Katze. Stellte Mama ihr einen gefüllten Napf hin, fraß sie ihn immer brav leer. Nicht ein Krümelchen fand man danach in der Schale.
    Im Körbchen hingegen entdeckte ich des Öfteren etwas: zum Beispiel eine Fünfhundert-Gramm-Packung Fusilli oder auch gern mal ein Paket Butter. Als Medi einmal eine doppelte Portion Pizzamuffins vom Tisch klaute und danach das komplette Wohnzimmer vollschiss, da erklärte Papa uns aufgebrachten Kindern: »Seid nicht so streng mit Medi. Die hat doch immer so wenig gehabt.«
    Erst viel später erfuhren wir, dass an unserer Hundedame Appetitzügler erforscht worden waren, und im Zuge dieser Untersuchungen hatte sie tagelang nichts zu fressen bekommen. Bei uns bekam sie dann zwar ausreichend Futter, war aber vom Hersteller falsch programmiert worden und suchte sich deswegen immer noch etwas Nahrungsergänzung zum üblichen Programm, für schlechte Zeiten eben.
    Das arme Kriegskind, sponsered by Roche.
    Als ich zum ersten Mal gezwungen war, in eine Apotheke zu gehen und mir selbstständig Kopfschmerztabletten zu kaufen, war ich bereits Studentin. Bis dahin hatte ich nicht mal für die Antibabypille Geld ausgeben müssen, weil meinem Vater die Probepackungen nur so hinterhergeschmissen wurden. Und in unserem Haus, genauer gesagt: in der Praxis, waren sowieso immer reichlich Medikamente vorhanden, was besonders meine Freunde, und besonders die von der schiefen Bahn, immer wieder dazu einlud, nach der ein oder anderen Gratisprobe zu verlangen.
    »Hat dein Alter nicht irgendwas, was voll reinzieht?« Mein kleinkrimineller Freund Marcel und sein Kumpel Tobi ahnten noch nicht, dass sie zum ersten und zum letzten Mal Gast in unserem Haus sein wollten.
    Etwas, das voll reinzieht … Ob Marcel dabei wie ich spontan an Nasenspray dachte? Vermutlich nicht, und ich befürchtete, in der spartanisch eingerichteten Hausapotheke in

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