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Aerztekind

Aerztekind

Titel: Aerztekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Wittmann
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Kochen fertig war, von meinem Vater über die Sprechanlage, in der seine Stimme so seltsam fremd und blechern klang, nach unten gerufen. Das Essen brannte entsprechend oft an, und nachdem meine Mutter den x-ten Topf mit angebackenem Gulasch frustriert in die Mülltonne befördert hatte, stiegen wir, zumindest während der Praxiszeiten, auf Butterkekse um. Erst als meine Schwester Juliane meine Mutter eines Tages fragte, warum es bei anderen Familien Nudeln, Pommes und Fischstäbchen zu essen gab, bei uns aber immer nur Butterkekse, stellte sie eine Haushaltshilfe und mein Vater eine Arzthelferin in Teilzeit ein.
    Trotzdem übernahm meine Mutter, gerade in den ersten Jahren, in denen mein Vater als niedergelassener Allgemeinmediziner arbeitete, einen großen Teil der organisatorischen Arbeit. Wir verbrachten oft ganze Tage in der Praxis, mein Vater, meine Mutter, meine zwei Jahre jüngere Schwester Juliane und ich … und Anne, die Jüngste, die meistens krank war und deswegen hinter dem Anmeldetresen, gut versteckt vor den neugierigen Blicken der Patienten, leise jammernd vor sich hin fieberte.
    Anne war ein blasses, irgendwie zu klein geratenes Mädchen, das bereits im Säuglingsalter mit einem nervösen Magen auf sich aufmerksam machte. Zugegeben, sie hatte es auch nie leicht mit zwei älteren Schwestern, die ihr bei jeder Gelegenheit Murmeln in die Nase steckten oder versuchten, sie mithilfe eines Topflappens in Krokodilgestalt so dolle zu erschrecken, dass ihr ätzender Schluckauf endlich versiegte. Sie wog etwa die Hälfte von Juliane und damit etwa ein Viertel von mir, hatte ständig Nasenbluten, wirkte unfassbar zerbrechlich und war im Laufe ihrer Kindheit so oft krank, dass mein Vater von Zeit zu Zeit behauptete: »Von mir kannst du das nicht haben! Vermutlich haben wir dich doch eines Morgens in einem Weidenkörbchen vor der Haustür gefunden, oder du wurdest im Krankenhaus vertauscht. Oder du bist eben doch vom Milchmann.« Meiner kopfschüttelnden Mutter gab er anschließend, nicht ohne ein amüsiertes Lachen, einen Klaps auf den Hintern.
    Anne zu Ehren erfand mein Vater sogar eine Krankheit, die sogenannte »Annemie«, die auf einen allgemein eher schwächlichen Gesundheitszustand zurückzuführende chronische Erkrankung des gesamten Körpers. Juliane und mich machte das furchtbar wütend, denn nach uns hatte er keine Krankheit benannt. Und zudem leistete Anne, im Gegensatz zu uns, keinen nennenswerten Beitrag zur familiären Gemeinschaft. Ständig war sie krank und beanspruchte die hundertprozentige Aufmerksamkeit unserer Mutter und manchmal sogar, wenn es ihr wirklich richtig dreckig ging, auch die unseres Vaters ganz für sich.
    Dass Papa für uns Kinder keine Zeit hatte, weil er sich mit all den netten Leuten unterhalten musste, die ihn in seiner Praxis besuchten, war uns klar, aber Mama, so dachten zumindest Juliane und ich, hatte doch wirklich wichtigere Dinge zu tun, als neben Anne am Bett zu sitzen und ihr Geschichten vorzulesen. Zum Beispiel Wandbilder aus Bügelperlen basteln oder mit uns die Schreiblernhefte aus der Vorschule ausmalen. Stattdessen hielt sie Anne den Kotzeimer unter die Nase oder wickelte ihr kalte Umschläge um die Waden, und wenn unsere jüngste Schwester ausnahmsweise mal gesund oder zumindest nicht ganz so erbärmlich krank war, saß meine Mutter unten in der Praxis und nahm die Anrufe entgegen.
    Doch auch wenn Mama wichtige Dienste an der Anmeldung leistete: Eigentlich war ich die Mitarbeiterin, auf die Papa am wenigsten verzichten konnte. Deswegen versuchte ich, ihn bestmöglich zu unterstützen. Und das hieß vor allem, ihn nicht wegen irgendwelcher Lappalien bei seiner Arbeit zu stören.
    Erst gegen acht Uhr abends läutete mein Vater den Feierabend ein, und dann durfte ich mir unter seinem gönnerhaften Blick etwas aus dem großen Glasgefäß mit billigem Kinderspielzeug, das auf dem Schreibtisch in Behandlungszimmer 1 stand, aussuchen. Zufrieden nahm ich meinen Lohn entgegen und legte das jeweilige Teil oben in der Wohnung in meinen extra dafür geleerten Kinderkassettenkoffer, in dem sich bald eine bunte Mischung aus Murmeln, Matchboxautos und Plastiktieren sowie diesen kleinen Blechtieren, die so lustig klapperten, wenn man darauf herumdrückte, ansammelte. Meine Absicherung fürs Alter.
    Die allgemeinmedizinische Praxis meines Vaters war ein fantastischer, ein magischer Ort, den meine Geschwister und ich wie die heilige Quelle von Lourdes verehrten. Es kamen kranke,

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