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Aerztekind

Aerztekind

Titel: Aerztekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Wittmann
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Geschlechtsverkehr) zu ihm kam und um ein Rezept für ein Antibiotikum bat. Ich hatte erst wenige Jahre zuvor verstanden, dass mein Vater scherzte, wenn er mir empfahl, ich solle nicht zu viel Anti beauty kum futtern, da das nicht unbedingt erwünschte Nebenwirkungen (Hässlichkeit) habe, deren langfristige Folgen der Wissenschaft noch nicht bekannt seien. Von derlei altherrlichen Doktorenwitzen geschlagen, war selbst mir als zwar medizinisch Grundausgebildete, aber nicht promovierte Ärztin klar, dass ich mit Hausmittelchen wie Blasen- und Nierentee bei dieser Angelegenheit nicht mehr weiterkam. Also stiefelte ich an einem Samstagvormittag die Treppe hinunter in die Praxis, wo mein Vater gerade über der Steuererklärung brütete.
    »Hallo Papa«, begrüßte ich ihn und präsentierte ihm meine beste schmerzverzerrte Miene. Leiden-Faktor: hoch. »Die Blasenentzündung ist jetzt in die Niere gewandert, ich pinkle Blut und habe irre Schmerzen im Rücken – verschreib mir was.«
    Mittlerweile wusste ich, dass ein bisschen Jammern und Stöhnen nichts brachte. Wollte ich, dass mir geholfen wurde, musste ich mit knallharten Fakten, am besten einer Diagnose aufwarten, um das Interesse meines Vaters – und sei es nur für meine lächerliche Lappalie – zu wecken.
    »Nierenbeckenentzündung, soso.« Mein Vater nickte. »Vielleicht aber auch die Vögelgrippe. Wieder mal fliegender Bettenwechsel?«
    »Papa!«
    Ich hasste es, wenn er sich in mein Liebesleben einmischte. Ich wollte nur ein Antibiotikum, mehr nicht, keine kostenlose Sexualberatung und bitte auch keinen Kommentar zur amourösen Umtriebigkeit meiner selbst!
    »Ja, ja.« Er kicherte und zückte seinen Rezeptblock. Dann kritzelte er etwas darauf, griff nach dem Stempel und setzte sein Autogramm darunter. »Macht zehn Euro. Praxisgebühr.«
    »Papa!«, rief ich entgeistert. »Ich bin deine Tochter!«
    »Und ich dein behandelnder Arzt, also her mit der Kohle.«
    Mit zusammengekniffenen Lippen kramte ich nach dem verlangten Sold und lief dann eilig zur Apotheke – soweit ich das in gebückter Haltung konnte. Dort angekommen, händigte ich dem Apotheker meines Vertrauens das Rezept aus.
    Der starrte lange darauf.
    »Also, ich weiß nicht«, murmelte er schließlich.
    Was? Wieso? Was wusste er nicht? Glaubte der mir jetzt etwa auch nicht? Ich war irritiert. Und wollte verdammt noch mal endlich ein Medikament gegen meine schmerzhafte Erkrankung haben!
    »Ärzte haben ja selten eine besonders leserliche Handschrift, aber diese hier …« Er stockte.
    »Jajaja«, keuchte ich, »ich weiß, der hieroglyphische Eid.«
    Ich betete, dass nicht noch mehr dieser schlechten Witze auf mich zukamen, und außerdem musste ich schon wieder aufs Klo!
    »Ich weiß wirklich nicht, aber je länger ich das lese …« Wieder brach er unvermittelt ab.
    »Ja, was steht denn da drauf? Zeigen Sie mal her!«
    Ich grapschte nach dem Zettel, doch der Apotheker zog ihn rechtzeitig, bevor ich ihn in die Hände bekam, zurück.
    Dann plötzlich grinste er.
    »Doch, ganz eindeutig«, sagte er grinsend. »Ich weiß, was da steht, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir das vorrätig haben.«
    »Dann bestellen Sie es!«, fluchte ich und verwünschte meinen Vater, den Apotheker und alle anderen Menschen, die auch nur im Entferntesten etwas mit Medizin am Hut hatten.
    »Das kann ich nicht bestellen«, gluckste der Apotheker und schob mir nun mit einem sardonischen Lächeln das Rezept über die Theke zurück.
    Ich starrte auf das Papier. Fassungslos.
    Unter Diagnose entzifferte ich eindeutig »Cystitis«.
    Und darunter, als Verordnung, stand: PENISCILLIN .

II. Diagnose

1. Von mir kannst du das nicht haben!
    Wenn man meinen Vater fragt, ob er enttäuscht ist, dass keine seiner drei Töchter den Weg in die Medizin gewählt hat, sagt er immer: »Nein, das müssen sie natürlich selbst entscheiden.«
    Die Wahrheit ist, dass es ihn verrückt macht, dass wir drei mit unseren Berufen nicht mal in die Nähe einer Arztpraxis kommen. Juliane, die Mittlere, ist Bekleidungstechnikerin und beschäftigt sich hauptberuflich mit Damenunterwäsche – ein Job, für den sie von vielen Männern beneidet wird. Nesthäkchen Anne hat nach zwei Wochen Architekturstudium das Gestalterische an den Nagel gehängt und sich auf das Basteln von Fensterbildern und Tafelmagneten spezialisiert. Sie ist Grundschullehrerin geworden und liebt ihren Job mindestens genauso wie mein Vater die Möglichkeit, irgendwelche spitzen Gegenstände in

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