Aerztekind
möchte ich meinen.«
»Kann man so sagen …« Janek räusperte sich. »Danach kam der Arzt mit einer Spritze, ich schwöre, die war so lang wie mein Unterarm. Und die hat er mir dann unter die … Eichel gejagt. Aber nicht nur so ein Stück, nein, nein, sondern ganz bis zum Anschlag. Ich glaube, das war das schlimmste Gefühl, dass ich jemals hatte.«
Mein Vater lächelte immer noch versonnen, die weibliche Hörerschaft verzog mitfühlend das Gesicht.
Janek, sich der Aufmerksamkeit aller nun absolut sicher, ließ die Bombe platzen.
»Seitdem ist es gut verheilt. Auch die Fäden sind schon gezogen worden. Und es wäre ja auch alles in Ordnung, wenn SIE «, dabei zeigte er anklagend mit seiner Messerspitze in Richtung meiner Schwester, »nicht unbedingt schon Sex haben wollte!«
Totenstille am Tisch. Das Auditorium schlug sich im Geiste die Hände vor den Mund.
»Oh.« Mein Vater ließ die Gelbwurst sinken. »Das ist ja ärgerlich. Jule, haben wir darüber nicht gesprochen?«
Juliane lief tomatenrot an und keifte: »Du hast aber gesagt, dass ich bei guter Pflege schon früher wieder darf! Und wenn du nicht gesagt hättest, dass der Zipfel ab muss, wäre ich nicht so maßlos untervögelt, dass wir uns dauernd streiten!«
Beleidigt verschränkte meine Schwester die Arme vor ihrer unberührten Brust. Janek sank wieder in sich zusammen.
Mein Vater seufzte tief. »Kinder, Kinder. Sex ist doch nicht immer nur Penetration! Dass ihr mich auch immer falsch verstehen müsst. Seid doch mal kreativ. Eure Mutter und ich, wir haben fantastischen Sex, selbst wenn es nicht zur Penetration kommt. Wisst ihr, mit einem männlichen und einem weiblichen Geschlechtsorgan, da kann man noch so viel mehr anstellen als immer nur rein-raus, rein-raus …«
An das Ende des Vortrags kann ich mich leider nicht erinnern, denn nur kurze Zeit später widmete sich mein Vater konzentriert seinem Frühstücksei. Dass er in diesem Moment aller Augen auf sich zog, mag vor allem daran gelegen haben, dass er sich dabei eines kleinen silbernen Küchenutensils bediente, das man wie eine Schere greift und das wir im Familienjargon »Peniskralle« nennen.
»Also, Janek, jetzt schau mal her, so eine Beschneidung ist wirklich keine große Sache«, sagte Papa und legte den Metallring des Eierköpfers um das Ei. »Das ist mit dem Köpfen dieses Eies hier vergleichbar. Der Chirurg setzt das Messerchen an und …« Papa sah Janek wie zur Bekräftigung einmal tief in die Augen. »… drückt einmal zu.« Mit einem schnarrenden Geräusch drehten sich die beiden sägezahnbewehrten Ringe gegeneinander, die Schale knackte vernehmlich. »Und zieht ein wenig daran – und tada, schon ist das Häubchen ab! Wirklich nicht der Rede wert!«
Mein Vater hielt die Hand mit dem Eierköpfer in die Höhe. Janek starrte sprachlos auf das ausgefranste geköpfte Ei, während meine Mutter leise zu summen begann: » Strumming my pain with his fingers …«
10. Doktorspiele
»Freu dich doch«, sagte Meike, meine gute Freundin aus Kindertagen, als ich ihr wieder einmal mein Leid über meinen ständig über Sex, vorzugsweise den eigenen, sprechenden Vater klagte. »Immerhin haben sie noch Sex! Das können nicht viele über ihre Eltern behaupten.«
»Aber müssen sie ständig darüber reden?«, stöhnte ich.
Wenn die eigenen Eltern, oder zumindest fünfzig Prozent davon, Ärzte sind, wird man in der Regel nicht aufgeklärt. Man IST es einfach. Ich erinnere mich an einen Tag in meinem Leben, da wurde ich früher aus dem Kindergarten nach Hause geschickt, weil ich, auf einem wackligen Holzstühlchen stehend, der Eichhörnchengruppe frei heraus verkündete, dass das mit den Bienchen und den Blümchen eine perfide Propaganda sei, der man keinen Glauben schenken dürfe. Kinder brächte nicht der Storch, Kinder entstünden, wenn der Papa und die Mama abends die Tür zum Schlafzimmer abschlössen und dann der Papa etwas in die Mama reinstecke und die Mama daraufhin schwanger würde. Die Eichhörnchengruppe fing daraufhin zu weinen an, und ich hatte meinen Ruf als Oswalt Kolle des Katholischen Kindergartens im Ort weg.
Mit der katholischen Kirche hatte ich ohnehin ziemlich oft Ärger. Als in vielerlei Hinsicht aufgeklärtes Kind habe ich im Kommunionsunterricht den Pastor nicht nur einmal in den Wahnsinn getrieben. Auch dort legte ich einwandfrei dar, dass die Sache mit der unbefleckten Empfängnis wohl eindeutig dem Bereich der Mythen und Märchen zuzuordnen sei, genau wie die
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