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Aerztekind

Aerztekind

Titel: Aerztekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Wittmann
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die Armbeugen unserer Nachbarschaft zu bohren. Ich verdinge mich im schreibenden Gewerbe, auch wenn das in dieser Formulierung ein wenig anzüglich klingt.
    Genauso muss es meinem Vater aber auch vorkommen, denn in seiner Welt laufen Filme im Kino, Bücher liegen in der Buchhandlung, und die Vorstellung, dass die Artikel in der Zeitung von echten Menschen mit echtem Einkommen geschrieben werden, muss ihn ganz schön beängstigen. In der Welt meines Vaters gibt es wichtige Berufe (Ärzte), weniger wichtige, aber dennoch akzeptable Berufe (Politiker, Juristen, Lehrer) und überflüssige Berufe (Bekleidungstechniker, Autoren, Architekten). Ein Beruf der dritten Kategorie kann ein Upgrade erfahren, wenn er unverschämt gut bezahlt wird. Daher wurde Juliane direkt nach ihrer Anstellung in einem sehr großen Unternehmen, das jedem Einzelnen seiner achttausend Mitarbeiter an Weihnachten sogar einen Truthahn schenkt, in der familieninternen Nahrungskette upgegradet. Zusammen mit Anne rangiert sie nun im Mittelfeld – das reicht zwar nicht aus, um den Grand Prix zu gewinnen, sichert aber zumindest die Teilnahme im nächsten Jahr.
    Mein Beruf gehört zur dritten Kaste und sichert nur knapp mein Grundeinkommen. Außerdem schenkt mir niemals jemand einen Truthahn, weder an Weihnachten noch an irgendeinem anderen Tag. Ich habe mir, wohl auch, weil man als Freiberufler ansonsten keine Rechtfertigung hat, diesen Beruf auszuüben, eine politisch sozialdemokratische Ausrichtung mit leichtem Einschlag nach links zugelegt, und spätestens das frustriert meinen Vater, der selbst in einer schlagenden Verbindung war und während der Kohl-Ära nicht wusste, wie er das ganze leicht verdiente Geld auf kürzestem Weg nach Hause schleppen sollte (zum Glück hatte er keinen langen Heimweg). Die wenigen fruchtlosen Diskussionen über das bedingungslose Grundeinkommen oder staatlich geförderte Elternzeit-Programme endeten meist in einem Streit oder der Erkenntnis, dass wir ideologisch auf unterschiedlichen Planeten leben.
    »Wie kann es sein, dass du so was denkst?!«, fragt mein Vater dann immer. »Von mir kannst du das nicht haben!«
    Ich tröste mich mit der Gewissheit, dass ich es dennoch von ihm habe – wenn auch anders als geplant. Jede Generation verfolgt ihre eigenen Ziele, wobei die Jungen die Ideale der Alten meist einfach ins Gegenteil verkehren. Die heftigsten Hippies erziehen die schlimmsten Streber. Kinder von konservativen Korinthenkackern werden zu nach Erleuchtung suchenden Weltenbummlern, und all die, die in einem Kinderladen ihre Zeit verbrachten, wünschen sich ihr Leben lang mehr Grenzen. Meine linksgerichtete, kreativ-liberale Einstellung ist also, wie so vieles mehr, meiner Erziehung anzulasten, an der mein Vater, zumindest in Teilen, nicht ganz unbeteiligt ist. Deswegen proklamiere ich gern und häufig den Spruch »Ich bin das Produkt meiner Erziehung!«. Vor allem dann, wenn ich nicht mehr weiterweiß. In letzter Konsequenz würde meine Überlegung natürlich bedeuten, dass meine Kinder ein Haufen ätzender Spießer werden, die sich zum zwölften Geburtstag einen Bausparvertrag wünschen und mich für meine mangelhafte Haushaltsführung tadeln. Aber damit beschäftige ich mich dann, wenn es so weit ist.
    Mein Vater ist also mit drei aufsässigen, selbstständigen und sozial eingestellten Töchtern gestraft, die nicht im Traum, nicht mal eine Sekunde, nicht mal in der Hypothese der Hypothese in Betracht zogen, Medizin zu studieren. Es gab eine Zeit, da klagte er sein Leid jedem, der es nicht hören wollte. Das war genau nach meinem Abi. Genau genommen hat mein Vater sich bis zum Tag der Abiturzeugnisvergabe nicht die Bohne dafür interessiert, welchen beruflichen Weg ich einmal einschlagen könnte, tat dann aber ganz überrascht, als ich nach neun Jahren Theater- AG , sechs Jahren Chor und drei Jahren Cellounterricht beschloss, Germanistik und Journalistik zu studieren. Bis heute habe ich nicht so richtig verstanden, wie er allen Ernstes jemals denken konnte, dass ich mich für Medizin interessiere. Er hat sich ja auch nie richtig Mühe gegeben, mich für seinen Beruf zu begeistern. Von den halbherzigen Versuchen, mich als OP -Schwester bei geplatzten Augenbrauen zu engagieren mal abgesehen.
    Trotzdem lag er mir ab der letzten mündlichen Abiturprüfung unentwegt damit in den Ohren. »Es kann doch nicht sein, dass ihr euch nicht dafür interessiert? Jemand muss doch die Tradition fortführen!«
    »Welche Tradition?«,

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