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Aerztekind

Aerztekind

Titel: Aerztekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Wittmann
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wieder. »Das bring ich dir bei. Im Studium habe ich für zwei Kommilitonen die Biochemieklausur geschrieben, da werde ich meine eigene Tochter wohl noch durchs Physikum kriegen!«
    »Äh …« Jetzt gingen mir langsam tatsächlich die Argumente aus. Mein Vater wollte meine Klausuren für mich schreiben?!
    »Ich mache dir einen Vorschlag.« Zufrieden lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und gestikulierte wie ein ganz großer Politiker bei seiner Antrittsrede. »Probier es ein Semester lang! Ich bezahle alles, Kost und Logis frei.«
    »Ehrlich gesagt, davon bin ich sowieso ausgegangen …«
    »Ja«, wandte mein Vater ein, »aber ich leg noch dreihundert Euro drauf. Du bewirbst dich für Medizin und studierst wenigstens ein Semester lang – wenn es dann nichts für dich ist, werde ich das Thema nie wieder ansprechen!«
    Was für ein unmoralisches Angebot. Sechs Monate Kohle und die Aussicht darauf, nie wieder mit der ollen Medizinkiste belästigt zu werden – wer hätte da nicht Ja gesagt?

2. Die Anonymen Ärztekinder
    Ich gebe es zu: Als ich mich bei der Zentralen Studienvergabestelle für Medizin bewarb, spekulierte ich auf die Möglichkeit, aufgrund meines mäßigen Notendurchschnitts direkt im ersten Anlauf abgeschmettert zu werden. In den ersten Wochen nach dem Abitur sah es auch genau danach aus. Meine Zulassung für Germanistik und Journalistik in Göttingen war sicher, nun lag ich in meiner Heimatstadt am Baggersee in der Sonne und wartete darauf, das Ablehnungsschreiben für Medizin zu bekommen und das leidige Thema damit endlich zu beenden.
    Das Ende des Sommers kam, und die ZVS hatte sich immer noch nicht bei mir gemeldet. Mit einem süffisanten Lächeln teilte ich meinem Vater mit, dass ich wohl leider doch ein wenig zu schlecht für das sicher sehr anspruchsvolle Medizinstudium sei, und sagte ihm auch, dass ich, wenn nicht bis spätestens Mitte September eine Zusage käme, auf Wohnungssuche in Göttingen gehen würde.
    Mein Vater knirschte gut vernehmlich mit den Zähnen und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück. Drei Tage später trudelte die Zulassung für ein Medizinstudium in Greifswald bei uns ein.
    »Was hast du gemacht?«, fragte ich ihn keuchend und auch ein bisschen blass um die Nase, als er mir den bereits geöffneten Brief in die Hand drückte.
    »Ich habe meine Kontakte spielen lassen«, triumphierte er, und ich konnte ihm ansehen, wie stolz er auf sich war.
    »Hast du wen bestochen?«, fragte ich, die noch nicht einmal wusste, wo Greifswald lag – war das überhaupt noch in Deutschland?
    »Ich kenne da wen, der hat gute Kontakte zum medizinischen Lehrstuhl in Greifswald. Der war mir noch einen Gefallen schuldig. Ich gebe zu, der Studienort ist jetzt nicht so attraktiv, aber dann wirst du wenigstens nicht abgelenkt und kannst dich voll und ganz auf deine Karriere als führende Gerichtsmedizinerin Deutschlands konzentrieren!«
    Mir fehlten die Worte. Vollkommen baff glotzte ich meinen Vater an. Greifswald. Medizin. In Leichen rumbuddeln!
    »Oh – und du musst dich nicht bei mir bedanken, das habe ich gern gemacht«, sagte mein Vater generös und ging beschwingten Schrittes wieder hinunter in seine Praxis.
    Ich packte die Koffer und fuhr zur Einführungswoche nach Greifswald. Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen. Mein Vater und ich hatten einen Deal: Sechs Monate sollte ich es probieren. Auch wenn ich fand, dass er nicht unbedingt mit fairen Mitteln gespielt hatte, akzeptierte ich doch seinen dringenden Wunsch, dass ich in seine Fußstapfen treten und die Familientradition weiterführen sollte, und fühlte mich zugegebenermaßen auch ein wenig geschmeichelt, dass er mir ein doch nicht so ganz leichtes Studium wie das der Medizin immerhin intellektuell zutraute. »Wenn du was anderes machen würdest, dann wäre das wie Perlen vor die Säue!«, hatte er einmal zu mir gesagt. Na ja, gut, jetzt, wo ich es niedergeschrieben sehe, wird mir schon klar, dass zwischen der Annahme, die eigene Tochter sei intelligent genug für ein Medizinstudium, und dem Vorwurf, man würde mit einem anderen Studium seine Talente vergeuden, ein nicht unerheblicher Unterschied besteht.
    In Greifswald angekommen, mietete ich mir ein Zimmer in einem der top ausgestatteten Studentenwohnheime. Nach Greifswald wollen eben nur wenige Studenten, und so versucht die Uni, Studenten mit attraktiven Unterkünften in ihre unattraktive Stadt zu locken. Und tatsächlich wäre meinen Kommilitonen in den

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