Aerztekind
anscheinend nicht adäquat EINGECREMT hast?!«
Mir wurde schwarz vor Augen, und das lag ausnahmsweise nicht an der Migräne. Mein Vater zeigte mir einen Vogel und piekste mir (eindeutig weniger einfühlsam als sonst) die Nadel in die Armbeuge – ich war mir sicher, dass er diesmal auch eine viel größere Kanüle verwendet hatte.
»Ihr seid immer so hysterisch!«, sagte er und drehte das kleine Rädchen am Tropf auf, woraufhin der Cocktail langsam in meinen Körper zu sickern begann. »Deine Mutter hat auch schon ein riesiges Theater deswegen veranstaltet, aber der Uwe hat gesagt, darum muss ich mich nicht sofort kümmern.«
Ne. Wenn der Tumor streut, reicht locker, sich dieses peripheren Problemchens anzunehmen!
»Und jetzt halt mal lieber den Mund. Sonst wirkt das Medikament nicht.«
Ich kenne diese miese Tour. Wenn es um eigene Krankheiten geht, ist mein Vater wirklich der schlechteste Patient, den man sich vorstellen kann, und wir alle, die wir nicht auf seiner Kompetenzstufe weilen, sind ohnehin und ausnahmslos immer hysterisch. Lieber wendet er sich an einen anderen Idioten mit Doktortitel, der ihm dann versichert, dass man diese klitzekleine und sicher ganz ungefährliche Hautanomalie auch aussitzen könne. Bescheuert! Einfach nur bescheuert! Und unsereins rennt einmal jährlich zur Vorsorgeuntersuchung und muss sich beinahe täglich sagen lassen, dass Rauchen Krebs verursacht und Übergewicht Diabetes. Pah!
Dr. Stankov reißt mich aus meinen düsteren Gedanken, in denen ich meinem Vater an die Gurgel springe und ihn würge, bis er blau anläuft.
»Aber Sie sage, Ihre Vater habe Lungen- ähm -bolie.«
»Na ja, das vermutet er. Was genau heißt das eigentlich?«
Dr. Stankov erklärt mir mit der Geduld eines Kindergärtners und ohne eine einzige Fachvokabel zu verwenden, wie es passieren kann, dass eine Lungenembolie entsteht. Während er redet, denke ich an die unübertreffliche Sendung »Es war einmal das Leben«, eine Zeichentrickserie, die irgendwann in den Neunzigerjahren lief und das einzige Medium war, das mir überhaupt den Unterschied zwischen venösem und arteriellem Blut zu erklären vermochte: Kleine dicke Männchen (die Blutkörperchen) tragen als arterielles, also sauerstoffreiches Blut Sauerstoffbläschen, die sie sich in der Lunge auf den Rücken laden, durch den gesamten Blutkreislauf zum Herzen, zu den Organen und so weiter. Im Laufe der Zeit werden die Sauerstoffbläschen auf ihrem Rücken immer kleiner, bis sie schließlich ganz verschwinden. Dann müssen die Blutkörperchen wieder in die Lunge marschieren, um neue Ladung aufzunehmen. Im Blut unterwegs sind außerdem die weißen Antikörper (kleine weiße Raumschiffe mit Raketenwerfern), Fresszellen, die sich alle naselang auf böse Eindringlinge stürzen und sie dem Boden gleichmachen, ein paar Salz- und Zuckerstreuer und natürlich die Viren und Bakterien mit ihren krummen Hakennasen und dem verschlagenen Blick.
Also, wer die Abläufe im Körper auf diese Art nicht versteht, ist echt ein hoffnungsloser Fall!
Dr. Stankov erklärt mir die Lungenembolie ähnlich anschaulich: Im Venensystem (also den Blutbahnen, in denen die kleinen Männchen ohne Sauerstoffkügelchen auf dem Rücken unterwegs sind), meistens in den tiefen Beinvenen und im Unterschenkel- und Kniebereich, bilden sich Blutgerinnsel. Die Blutkörperchen machen da also einen Auflauf, verweigern das Weitergehen. Ähnlich wie bei einer Demo, auch wenn die Gründe ein wenig anders sind: Krampfadern, langes Liegen, langes Sitzen mit angewinkelten Beinen, Veränderungen der Gefäßwand, zu dickes Blut, genetische Gerinnungsdefekte und dergleichen mehr. Passenderweise wird diese Krankheit aber auch Economyclass-Syndrom genannt, und damit dürfte klar sein, wann und bei wem eine derartige Sache statistisch gesehen am häufigsten zu erwarten ist.
Die Blutgerinnsel, im Fachjargon Thromben genannt, führen in den Beinen zu einem Blutstau. Die Beschwerden, die ein Patient hierbei haben kann, reichen von einer verstärkten Venenzeichnung, der Bildung von oberflächlichen Krampfadern, einer Schwellung der Beine durch aufstauendes Blut und Flüssigkeit bis hin zu einhergehender Schwere in den Beinen und Schmerzen, können aber auch vollkommen ausbleiben und vom Patienten nicht bemerkt werden. Der Schmerz als Warnsignal des Körpers fällt in dem Fall also aus, was auch die besondere Tücke der Erkrankung ausmacht.
Die Thromben bleiben eine ganze Zeit lang oder aber für immer in
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