Aerztekind
der Vene stecken und verstopfen das Gefäß damit dauerhaft. Sie können sich jedoch auch ohne Folgen wieder auflösen, das nennt man dann körpereigene Fibrinolyse – ein Glücksfall der Selbstheilung, der von religiösen Fanatikern gern als Wunderheilung gefeiert wird. Gefährlich wird es jedoch dann, wenn sich die Thromben en bloc lösen und dann als sogenannte Embolie über das tiefe Venensystem und via rechte Herzkammer in den Lungenkreislauf gelangen. Dort können diese Embolien dann die Lungenstrombahn akut oder Stück für Stück verstopfen.
Die Folgen: Sauerstoffarmes venöses Blut (also die Blutkörperchen ohne Ladung auf dem Rücken) kann nicht mehr in ausreichendem Maß in der Lunge mit Sauerstoff angereichert werden, was zwangsläufig zum Leistungsdefizit und zur Atemnot führt. Außerdem staut sich jetzt das Blut auch in diesem Bereich zurück und belastet das davorliegende rechte Herz, was unglücklicherweise zu Herzvergrößerung und, wenn es ganz dumm läuft, zu Herzinsuffizienz und Rhythmusstörungen führen kann. Die davorliegende Vena cava bläst sich auf wie ein Ballon, und auch die Leber macht einen auf dicke Hose. (Was bei meinem Vater, der dem Alkohol eher zu- als abgeneigt ist, mit Sicherheit schwer zu diagnostizieren gewesen wäre …)
Nun hat der Patient, der an einer Lungenembolie erkrankt ist, also ein Problem: Die Lungengefäße sind verstopft, sein Blut wird nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Es gibt einen Rückstau ins Herz und in die Leber. Was bei Herzinsuffizienz und einer krankhaften Vergrößerung der Pumpe passieren kann, ist selbst dem unbescholtensten Patienten bewusst. Und weil das Herz, das mit der Angelegenheit eigentlich gar nichts zu tun hat, auch nicht schuld an den Thromben oder dem Rückstau ist, seinen Dienst dann aber trotzdem verweigert, werden die Folgen einer Lungenembolie oft irrtümlicherweise für einen Herzinfarkt gehalten. Und falsch behandelt. Kurzum: Der ganze Kerl ist am Arsch.
Jetzt, wo ich das ganze Fachchinesisch übersetzt bekommen habe, kommt mir das Ganze noch schlimmer vor. Was ich gerade verstanden habe, gefällt mir nämlich gar nicht.
»Was Sie mache jetzt?«, fragt Dr. Stankov.
»Ich – ich weiß nicht«, stottere ich, »wir versuchen, einen Flug für meine Mutter zu buchen.«
»Melde Sie sich, Fräulein Wittmann, wenn Ihre Vater ist wieder hier. Kann man mache neue Termin.«
»Okay. Aber sagen Sie mal, was ist denn eigentlich schlimmer – Herzinfarkt oder Lungenembolie?«
Dr. Stankov lässt Luft durch seine Zähne pfeifen. »Pfff … kann man so nicht sage.«
Das hatte ich befürchtet.
»Aber«, meine Stimme zittert, »es ist doch beides … heilbar?«
»Natürlich, meine Liebe. Kann man alles repariere. Kann man alles repariere!« Seine Worte lassen mich für eine Moment ganz fest an Papas Genesung glauben. Doch bevor ich diesen Stankov Stein und Bein schwören lassen kann, hat er sich auch schon von mir verabschiedet und aufgelegt.
Nach dem Gespräch sitze ich noch einen Moment allein auf dem Sofa im Wohnzimmer. Mein Vater hat gewusst, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Wäre er sonst auf die Idee gekommen, für Samstagvormittag, dem ersten Tag nach seiner Rückkehr, einen Termin mit einem Kardiologen zu vereinbaren? Wohl eher nicht. Dass er sich in den letzten Tagen selbst behandelt hat, treibt mir die Galle hoch. Das ist doch unglaublich, was diese Ärzte sich alles rausnehmen! Sich selbst Betablocker verschreiben! Sich selbst ein EKG anlegen! Sich selbst gestatten, ins Flugzeug einzusteigen – also das ist doch wirklich sittenwidrig. Ich verlange die Ethikkommission, ich verlange Amnesty International, ich verlange die Kassenärztliche Bundesvereinigung und den Gesundheitsminister: Das ist nicht okay! Ihr habt für jeden Scheiß Gesetze und Abrechnungsziffern und verschreibungspflichtigen Mist, aber anscheinend ist noch niemand auf die Idee gekommen, dass Ärzte einen eigenen Gesundheitscheck brauchen, weil sie nicht in der Lage sind, sich selbst zu behandeln. Das kann nur ein Schuss in den Ofen sein, wenn ein Arzt sich selbst therapiert. Haben Sie schon mal von einem Rechtsanwalt gehört, der sich bei einem Kapitalverbrechen erfolgreich selbst verteidigt hat? Ein Autor, der seine eigenen Bücher lektoriert? Ein Lehrer, der sich selbst unterrichtet? Ein Bestatter … na gut, hier hört der lustige Vergleich auf. Bei der Polizei werden Beamte von den Ermittlungen abgezogen, wenn Familie oder Bekannte in den Fall
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