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Aerztekind

Aerztekind

Titel: Aerztekind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Wittmann
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Entzündung in Herzmuskel.«
    Ich verliere erst die Sprache, dann die Fassung. Papa hat sich in den letzten Tagen HEIMLICH mit einem Kardiologen aus unserer Stadt beraten, weil er eine Entzündung des Herzmuskels vermutete? An sich?! Und uns hat er nichts davon erzählt?
    Ich habe ja schon öfter mitbekommen, dass Ärzte untereinander eine Art Geheimzirkel haben. Eine ganz und gar verschwiegene Truppe, deren Hauptaufgabe es ist, eigene oder in der eigenen Familie aufgetretene Krankheiten zu verschleiern. Wenn mein Vater mit irgendeinem Befund verhindern will, dass wir zu einem anderen Arzt als ihm gehen, ruft er bei einem befreundeten Kollegen an, um ihn um seine Meinung zu bitten. Bevorzugt macht er das, wenn es beim Patienten um ein Mitglied seiner Familie geht. Wieso Praxisgebühr bezahlen und zum Augenarzt gehen? Den Sehtest kann auch der Optiker machen. Und wegen dem trüben Schleier, den meine Tochter seit ein paar Tagen zu haben glaubt, rufe ich mal fix den Kollegen Müller an, dann kann ich das nächste Woche beim Ärztestammtisch mit ihm besprechen.
    Als ich meinen Vater einmal wegen eines akuten Migräneanfalls in der Notfalldienstzentrale aufsuchte, bekam ich eine sehr bezeichnende Szene mit. Ein diensthabender Kollege meines Vaters kam ihm (gegen fünf Uhr in der Früh beschwingt) und mir (zur selben Uhrzeit eindeutig ausgezählt und angeschlagen) auf dem Weg zum Behandlungszimmer entgegen.
    »Ach, guten Morgen, Fritz, auch schon auf den Beinen?«
    Mein Vater blieb stehen. »Hallo Uwe, ja, der frühe Vogel …«
    »… kann mich mal!«, vervollständigte Dr. Uwe.
    Beide lachten. Ich litt im stillen Kämmerlein weiter.
    Plötzlich hielt Dr. Uwe inne.
    »Du, Fritz. Die aktinische Keratose an deiner Schläfe wird ja immer schlimmer. Warum kommst du nicht mal in der Praxis vorbei?«
    Ich sah an Papas Schläfe. Stimmt. Irgendwas sah da komisch aus. Ein bisschen wie sehr, sehr trockene Haut, die sich langsam aber sicher vom Gesicht abschälte. War das schon immer da gewesen?
    »Ich würd ja, Uwe, ich würd ja«, wiegelte Papa ab, »aber ich hab was gegen Arztpraxen.«
    Wieder joviales Gelächter. Ärztehumor. Widerlich.
    »Na, darüber reden wir aber noch. Ich kann es mir auch später mal angucken, in der Mittagspause«, schlug Dr. Uwe vor.
    Mein Vater nickte, und an der Art, wie er das tat, erkannte ich, dass er in der Mittagspause NIEMALS zu Dr. Uwe gehen würde, um die trockene Haut an seiner Schläfe behandeln zu lassen. Warum auch? Trockene Haut cremte man ein.
    Als wir im Behandlungszimmer waren, ich mich auf die Liege gehievt und Papa den Zugang für die Infusion gelegt hatte, fragte ich: »Was ist das da an deiner Schläfe?«
    Papa wich meinem Blick aus. »Nur ein bisschen trockene Haut.«
    »Und warum nennt dieser Uwe deine trockene Haut eine aktinische Keratose?«
    Mein Vater schwieg.
    »Hallo?«
    »Na ja, so heißt das halt.«
    » SO heißt trockene Haut?«
    »Nicht direkt.«
    »Und warum spricht er dich drauf an?«
    Stille. Papa kümmerte sich mit geradezu unglaubwürdigem Ernst um den Paspertin-Aspirin-Cocktail, den er mir gleich in die Venen jagen würde.
    »Hallo?!«
    »Ja, also gut. Du wirst es ja eh rausfinden. Aktinische Keratose ist eine Vorstufe vom Hautkrebs. Aber total harmlos.«
    »Harmlos.«
    »Ja. Muss man nicht sofort behandeln.«
    »So wie andere Vorstufen vom Krebs, zum Beispiel Tumore.«
    »Ja, genau.«
    »Wie würde man es denn behandeln, wenn man es behandeln wollte?«
    Papa winkte ab. »Ach, mit Vereisung. Oder einem kleinen chirurgischen Eingriff. Oder einer Salbe.«
    »Aha. Hört sich nach einer zehnminütigen Sache an.«
    »Ja, geht wirklich schnell.«
    »Also eigentlich kein Aufwand.«
    »Nein.«
    »Und wieso machst du es dann nicht?«
    Schweigen.
    »Papa, das ist eine Vorstufe vom bösen K-Wort. Daran sind dein Vater und deine Mutter gestorben. Ist dir das klar?«
    »Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!« Papa lächelte. Er hatte sich an meinem Repertoire geisteswissenschaftlicher Zitate vergriffen. Das nahm ich ihm krumm.
    »Wie kriegt man so was überhaupt?«
    » UV -Strahlung.«
    »Aha.« Ich schwieg für einen Moment. Dann dämmerte es mir. »Willst du mir gerade erzählen, dass du eine Vorstufe vom Hautkrebs im Gesicht hast, ein anderer Arzt dich darauf auf offener Straße anspricht und du NICHTS unternimmst?! Und zu allem Überfluss hast du dir das Problem auch noch selbst eingebrockt, weil du dein halbes Leben im Hochgebirge verbracht und dich

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