Aeternum
nächsten paar Tagen würde genauso wenig geschehen wie in denen davor. Ein Beben hier und dort, einige Sichtungen des seltsamen Welleneffekts, die irgendwer sofort zu vertuschen versuchen würde. Sie war nicht in Gefahr, und er konzentrierte sich besser auf die Aufgaben, die vor ihm lagen.
Jul wandte sich ab und setzte seinen Weg fort.
Das Handy stellte ein ungewohntes Gewicht in seiner rechten Innentasche dar, auf der linken Seite drückte die Pistole gegen seine Rippen, und aus der größten Tasche ragte eine kleine Wasserflasche. Das war alles, was er an Ausrüstung bei sich trug. Er wusste nicht, was ihn erwartete, und er sah keinen Sinn darin, für jede noch so abwegige Eventualität vorauszuplanen.
Je näher Jul dem Alexanderplatz kam, desto deutlicher erkannte er den hohen Baustellenzaun, der die Umgebung des Kraters absperrte. An seinem Fuß türmten sich Blumen und Kerzen, ein buntes, langsam verwelkendes Band, das nicht abriss, soweit Jul sehen konnte. Hier und dort hingen Zettel und Fotos an den Gitterstäben, zeugten vom Schmerz des Verlusts, den Jul nur allzu gut nachvollziehen konnte.
Ein Stück links, halb zwischen den Gebäuden verborgen, klaffte der Krater selbst, als hätte eine mächtige Faust ein Loch in die Stadt gestanzt. Er wirkte sehr viel größer als im Fernsehen.
Dort würde er also hinuntersteigen müssen. Mit einem Mal kehrte die Erinnerung an das erste Beben zurück, das Jul im U-Bahn-Tunnel erlebt hatte. Das Gefühl des Betons über ihm, dessen Gewicht auf seine Brust zu drücken schien.
Ungehalten schüttelte er den Kopf, schob die Erinnerung beiseite. Als er den Blick vom Krater losriss, entdeckte er eine Lücke im Zaun. Jemand hatte dort die Blumen zur Seite geschoben, und zwei Polizisten bewachten den Durchgang. Weitere Uniformierte patrouillierten an der Innenseite der Absperrung.
Mehrere Personen standen dahinter auf der Kreuzung, die das Ende der Karl-Marx-Allee markierte. Michaels Löwenmähne leuchtete golden im Sonnenlicht, genau wie das Haar seiner beiden Begleiter. Er unterhielt sich gerade mit einer rothaarigen Frau, die ganz in Schwarz gekleidet war. Beide wirkten angespannt, sprungbereit, als würden sie jeden Augenblick mit einem Angriff ihres Gegenübers rechnen. Michaels Hand lag auf dem Griff seines Schwertes. Eindeutig kein freundliches Gespräch.
Als Jul auf die Lücke zuging, vertrat ihm einer der Polizisten den Weg. »Sie können hier nicht durch. Bitte bleiben Sie auf dieser Seite der Absperrung.« Der Polizist wollte ihn mit einer energischen Geste fortscheuchen, doch in diesem Moment erklang Michaels Stimme. »Das ist er!«
Ein Mann im Anzug, der in der Nähe der Rothaarigen stand, hob die Hand. »Es ist in Ordnung, lassen Sie ihn durch.«
War das nicht …? Jul kniff die Augen zusammen. Tatsächlich. Der Mann vom Senat, der erst vor kurzem versucht hatte, ihn anzuheuern. Der Gehstock, auf den er sich stützte, war ein eindeutiger Hinweis. Seine Verletzung musste ihm noch zu schaffen machen. Entweder die Rothaarige war seine Meisterin oder der andere Dämon, der sich ein wenig im Hintergrund hielt und sich beinahe schützend neben einer menschlichen Frau aufgebaut hatte. Allein seine Haltung machte deutlich, dass es sich bei ihm nicht um einen Diener handelte. Die Frau neben ihm hingegen … Sie hielt sich stolz aufrecht, doch halb versteckt unter ihrem braunen, gelockten Haar schimmerten an ihren Schläfen kleine blutrote Augensymbole und ließen keinen Zweifel daran, dass sie einem der anwesenden Dämonen gehörte. Zu ihren Füßen stand ein Rucksack, sie trug festes Schuhwerk und Jeans. Konnte es sein, dass die Dämonen einen Menschen in den Krater schickten?
Der Blick der Menschenfrau ruhte auf ihm, während er sich der kleinen Versammlung näherte. Neugierde zeichnete sich auf ihren Zügen ab, genau wie auf denen der Dämonen. Michaels Miene hingegen verdunkelte kaum verhohlener Ärger. »Du bist spät dran.«
Jul hob betont gleichgültig die Schultern. Michael mochte ihn in der Hand haben, aber er würde sich nicht schelten lassen wie ein unartiger Schuljunge. »Die Bahnverbindung hierher war schon mal besser.«
War das ein Schmunzeln, das über die Lippen der rothaarigen Dämonin spielte? Sie verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete den Austausch zwischen ihm und Michael mit interessiertem Funkeln in den Augen. Auch der Erzengel schien es zu bemerken. Er warf ihr einen kurzen Blick zu, und obwohl seine Miene deutlich machte,
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