Aeternus - Sanfter Tod: Roman
nicht auch zwei Tiere? Die hinterwäldlerische Haltung der Schar allem gegenüber, was anders war, hatte diese Tragödie heraufbeschworen. Wenn dem nicht so gewesen wäre, dann hätten Nathan und Gideon vielleicht relativ normal leben können. Vielleicht wäre Gideon nicht wahnsinnig geworden. Und vielleicht wäre Nathan dann nicht so verbittert.
Ein gewaltiges Donnern hallte durch die Höhle, und die beiden großen Katzen verschwanden inmitten einer Staubwolke.
»TYRONE!«, schrie Kitt und kämpfte sich auf die Beine.
Sie schob Ravens Hände beiseite, als er versuchte, sie am Boden zu halten. Der Schmerz in ihrem Bauch war nichts verglichen zu dem furchtbaren Gedanken, ihr Vater könnte tot sein.
Oberon und die Männer ihres Vaters rannten zum Rand des Abgrunds. Raven ließ Kitt in der Obhut von Cal und Seph und stellte sich zu den anderen. Der Staub legte sich, und weder ihr Vater noch ihr Bruder waren irgendwo zu sehen.
»Sie hängen am Rand – beide«, sagte Oberon. »Helft mir.«
Kitt stand nun doch auf. Sie kroch so nahe an den Abgrund heran, wie sie es wagte, und spähte nach unten. Ihr Vater hing etwa zehn oder zwölf Fuß unter ihr und klammerte sich mit der einen Hand an einen großen Felsvorsprung, der in der beinahe vollkommen glatten Wand der Schlucht steckte. Mit der anderen Hand hielt er Gideons Handgelenk fest.
»Wir haben kein Seil. Wie sollen wir sie nach oben bekommen?«, fragte der eine der Zwillinge.
»Seph, zieh deine Jeans aus«, befahl Oberon und knöpfte bereits den Latz seiner Lederhose auf.
Bald war er ganz nackt, und wie immer trug er keinen Abeolit-Anzug darunter.
Der Felsvorsprung bewegte sich unter dem Gewicht, das an ihm hing. Nathans Gesichtszüge ersetzten die von Gideon und verzerrten sich vor Grauen, als er einen Blick über die Schulter ins schwarze Nichts warf. Dann bebte der Fels erneut.
»Er wird nicht mehr lange halten«, sagte Raven. »Wir müssen sie sofort hochziehen.«
»RETTET MICH!«, schrie Nathan und versuchte, über Tyrone hinwegzukriechen. »BEEILT EUCH! RETTET MICH!«
»Ich glaube nicht, dass das Material zwei Personen aushält.« Oberon zog an dem Knoten, mit dem er die Jeans und seine eigene Lederhose zusammengebunden hatte. Er gab nach. Das Material war zu dick, um eine feste Verbindung einzugehen.
Wieder bewegte sich der Vorsprung. Nathan schaute hoch zu Kitt, sein Blick war hasserfüllt. Sie starrten einander an. Dann ersetzten Gideons dunklere Züge Nathans Hass. Er sah weder angstvoll noch verrückt aus und nickte ihr kurz zu. Sie wusste, was er nun tun würde. Er griff nach der Hand seines Vaters und löste einen Finger nach dem anderen.
»Nein!«, schrie Tyrone.
»Es tut mir leid, Vater.« Das war das Letzte, was Gideon und Nathan je sagen würden, denn er löste sich aus Tyrones Griff, fiel in die Tiefe und schaute bis zuletzt Kitt an.
Bevor der Körper aus ihrem Blickfeld verschwand, tauchte noch einmal Nathan auf. Er ruderte mit Armen und Beinen, ein Schrei drang aus seinem offenen Mund.
Als das Gewicht von ihm abgefallen war, packte Tyrone den Fels mit beiden Händen und zog sich auf den Vorsprung. Oberon und die Tiger-Brüder bildeten eine Kette, legten sich flach auf den Boden, fassten mit den Händen die Beine des Vordermanns und ließen die Lederhose hinab, die so lang war, dass sie jetzt bis zu Tyrone hinunterreichte. Vorsichtig zogen sie ihn hoch und über den Rand. Als er wieder auf der festen Erde lag, brach Kitt in Ravens Armen zusammen. Sie spürte gar nichts mehr. Nathan und Gideon waren weg, und sie empfand nichts.
Raven küsste sie auf die Stirn. Sie drehte sich in seinen Armen um und sah ihn mit einem Lächeln an. Dann glitt das Lächeln von ihr ab, und seine Miene wurde steinern.
»Ich muss noch etwas erledigen«, sagte er. »Seph, kümmere dich um deine Mutter.«
Tyrone war von seinen Männern umringt, aber er schaute hinüber zu Kitt. Seine sonst so unbewegliche Miene sprach deutlich von seiner väterlichen Sorge. Sein Gesicht verschwamm, als sich Kitts Augen mit Tränen füllten.
Raven begab sich zu der Gruppe, und Leon trat ihm mit einem höhnischen Grinsen entgegen. Ohne langsamer zu werden, versetzte Raven ihm blitzschnell einen Schlag gegen den Hals, dann ging er weiter auf Kitts Vater zu.
Der Löwe machte ein überraschtes Gesicht, als plötzlich drei schartige, parallel verlaufende Wunden an seiner Kehle erschienen. Er drückte die Hände dagegen, doch das Blut aus seiner Halsschlagader schoss auf den
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