Aeternus - Sanfter Tod: Roman
anderen Straßenseite hielt ein großer Geländewagen. Sie erkannte das getigerte Haar des Fahrers und lächelte.
»Was erwartet er von dir?«, fragte Oberon schließlich.
Sie wusste, dass er ihren Vater meinte. »Er will, dass ich für ihn spioniere. Ich soll ihm alles sagen, was ich über die Campusmorde weiß. Als Gegenleistung konnte ich meine Mutter sehen und darf zwei Stunden allein mit meinen Kindern verbringen.« Sie sah ihm ins Gesicht und machte sich bereit für die Schimpftirade.
»Gut.« Oberon nickte nur, als hätte er ihre Antwort erwartet. »Das verschafft uns Zeit, sie zu prüfen und einzuarbeiten.«
Plötzlich überfielen sie die letzten sechsunddreißig Stunden mit ganzer Macht. Alles, was Leon getan hatte – oder sollte sie sagen: was er beinahe getan hätte … Ihre Beine gaben nach, und sie setzte sich auf den Boden und sah Oberon von unten an.
Sofort war er bei ihr. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Ich bin mit Leon aneinandergeraten«, sagte sie, als er ihr aufzustehen half und sie zum Sofa führte. »Er ist so stark, und ich habe mich so hilflos gefühlt. Bitte versprich mir, dass du es nicht Raven erzählst. Er würde Leon sonst umbringen.«
»Das könnte ich ihm nicht übel nehmen – dieser Bastard verdient alles, was er bekommt.« Oberons obsidianfarbene Augen wurden noch dunkler. »Für das, was er dir angetan hat, hätte er schon vor vielen Jahren zur Verantwortung gezogen werden sollen.«
Sie seufzte und schmiegte sich gegen die Rückenlehne des Sofas. »Alle wussten, dass ich nach ihm geschmachtet habe. Ich war jung. Niemand hätte mir geglaubt, dass es eine Vergewaltigung war.«
»Und seine ganze Bestrafung dafür, dass er fast seine Frau und seine Kinder umgebracht hätte und dich angegriffen hat, besteht in einer Degradierung und einem Klaps auf die Hände.« Oberon ballte die Fäuste. »Was sollte ihn davon abhalten, ihnen wieder wehzutun?«
Joshua hatte das Urteil des Ältestenrats über Leon zum Hubschrauber gefunkt, bevor dieser in New York gelandet war.
»Wenn er das tut, werde ich ihn eigenhändig umbringen«, sagte sie und meinte es bitterernst.
◀ ▶
Antoinette wartete in der Turnhalle auf Kitts Zwillinge. Heute Nacht würde sie herausfinden, wie gut sie waren. Ein paar Leute wärmten sich auf den Matten mit einigen Übungen auf. Sie hatte einige ihrer besten Studenten ausgesucht, um Ravens Ausbildung zu überprüfen.
Die Zwillinge kamen durch die Tür und sahen etwas verwirrt aus.
Ganz pünktlich.
»Äh, hallo, wir sollten eigentlich Mam hier treffen.« Antoinette erkannte Cal vom Schattenkampf her.
Seph verschränkte die Arme mit Schwung vor der Brust. »Ja, wir suchen Kathryn Jordan.«
Interessant. Sie ist noch nicht in der Lage, sie Mam zu nennen.
Antoinette streckte die Hand aus. »Danke, dass ihr gekommen seid. Sie sind Seph, nicht wahr? Cal und ich sind uns schon bei dem Schattenkampf begegnet, den ich sehr bemerkenswert gefunden habe.«
»Danke«, sagte Seph und machte eine freundlichere Miene. »Und ich bin beeindruckt, dass Sie uns auseinanderhalten können. Den meisten gelingt das nicht.«
»Sie beide sind eigentlich sehr verschieden. Cal hat ein Licht in den Augen, das man kaum übersehen kann, und Sie, Seph, halten sich wie eine Kriegerin.«
Beide Mädchen warfen sich bei diesen Bemerkungen in die Brust.
»Ihre Mutter wird gleich hier sein«, sagte Antoinette. »Ich arbeite mit ihr und Oberon zusammen. Wir wollen nur herausfinden, welche Ausbildung Sie beide bisher genossen haben und was Sie können.«
Seph richtete sich auf. »Das bleibt aber unter uns, nicht wahr? Sie werden unserem Onkel und unserem Großvater nichts davon erzählen, oder?«
»Himmel, nein«, sagte Antoinette. »Das geht nur uns drei etwas an. Wir wollen lediglich herausfinden, wie gut Ihr Vater Sie ausgebildet hat.«
Cal warf ihrer Schwester einen raschen Blick zu und wandte sich wieder an Antoinette, wobei sie den Kopf vorsichtig zu ihr hindrehte. »Was wissen Sie über unseren Vater?«
Antoinette lächelte und verschränkte die Arme unterdem Busen. »Ich arbeite ebenfalls mit Raven zusammen.«
Abermals sahen die Zwillinge einander an, und zwischen ihnen ging irgendetwas vor. Gleichzeitig drehten sie sich zu Antoinette um und nickten.
»Wir sollen also gegen Sie kämpfen?«, fragte Cal.
Antoinette schüttelte den Kopf. »Ich bin nur hier, um Sie zu beobachten und den Schiedsrichter zu spielen. Ich werde Ihre technischen Fähigkeiten und Ihr
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