Aetherhertz
Risiko. Paul beobachtete den Arzt ganz genau. Dessen Augen weiteten sich und er sah unwillkürlich nach unten, zu seiner Schreibtischschublade, wo wahrscheinlich seine Droge nach ihm rief.
„ Und es sind noch mehr Frauen betroffen.“
Irrlichternd wanderte der Blick des Mannes von der Schublade zu ihm.
„ Was für eine Droge?“
„ Wir wissen es nicht genau.“
„ Können Sie das beweisen?“
„ Wir arbeiten daran. Verstehen Sie jetzt, warum es so wichtig ist, dass wir mehr erfahren?“
Der Arzt nickte. Er atmete tief ein und fasste dann einen Entschluss. Paul merkte, dass er Boden gut gemacht hatte.
„ Erzählen Sie mir von der Frau.“
Der Arzt erzählte. Von der blutenden Frau in der Kutsche, von den ersten Untersuchungen, von den Krämpfen und den Versuchen des Arztes, sie zu stabilisieren.
„ Aber dann fühlte ich den Kopf des Kindes ... und ich wusste ...“
„ Was? Sagen Sie mir alles!“, insistierte Paul.
„ Verdammt, ich wusste, dass sie das nicht überleben würde!“ Die Hände des Arztes zitterten und er fuhr sich nervös durch die Haare.
„ Warum?“
„ Weil das Kind verdammte Hörner hatte, die sie innerlich zerfetzt hatten!“ Der Arzt sah Paul gequält an, und Paul hielt seinem Blick stand. Er war zutiefst schockiert, aber wenn er sich das jetzt anmerken ließ, würde der Arzt ihm nichts mehr erzählen.
„ Und dann retteten Sie das Kind.“ Versuchen musste er es.
„ Ja.“
„ Wo ist das Kind jetzt?“
„ Weg.“
„ Wo ist es?“ Er beugte sich nach vorne.
„ Sie haben es.“ Der Arzt sah wieder zu seiner Schublade.
„ Wer?“
„ Die Berichtiger.“
Paul schloss die Augen. Dann nickte er. Er wusste, wo das Kind war.
„ Danke“, sagte er. Nach einer Pause setzte er hinzu: „Sie brauchen Hilfe.“
Der Arzt lachte humorlos. „Wollen Sie mir helfen?“
„ Das kann ich nicht. Aber ich kenne Leute, die es können. Ich danke Ihnen jedenfalls. Sie haben das Richtige getan.“
Der Arzt nickte zunächst, dann sagte er: “Ich bin mir da nicht so sicher.“
* * *
Annabelle blätterte in einem Buch und dachte nach. Es war zum wahnsinnig werden. Sie konnte sich nicht auf die Arbeit hier konzentrieren. In Gedanken wünschte sie sich, mit den Frauen im Krankenhaus sprechen zu können – oder sollte sie vielleicht erst mal über ein Heilmittel nachdenken? Aber wie sollte man ein Heilmittel, finden, wenn man die schädliche Substanz nicht kannte?
Hans tat auch sehr beschäftigt, aber Annabelle spürte, dass ihm der Fall nicht so nahe ging wie ihr. Sogar Professor Schmidt war engagierter als Hans.
Die Tür des Labors öffnete sich und Annabelle schaute erwartungsvoll hin. Sie hoffte, dass Paul zurückgekommen war, aber es war jemand anders, über den sie sich auch sehr freute.
„ Onkel Karl!“
„ Mädchen!“ Der große Mann ließ sich gerne von Annabelle auf die Wange küssen. Er hatte einen dicken Lammfellmantel an und eine passende Mütze auf.
„ Was machst du hier?“, fragte sie.
„ Ich wollte dich mal besuchen. Ich habe gehört, du arbeitest hier?“ Er sah sich neugierig um.
„ Naja, ich darf hier ein bisschen forschen. Gerade helfe ich Herrn Zoller.“ Sie zwinkerte ihrem Onkel zu und stellte die beiden Männer einander vor. Hans wurde das ganz offensichtlich allmählich zu viel Männerbesuch .
Dr. Burger sah sich um. „Hast du schon zu Mittag gegessen?“
Annabelle schüttelte den Kopf.
„ Schön. Dann muss dein Kollege einen Moment ohne dich auskommen. Dein Vater würde mir nie verzeihen, wenn du verhungern würdest.“
Annabelle lachte. „Ich bin froh, dass du auch glaubst, dass Papa wieder kommen wird.“
„ Ich glaube keine Sekunde, dass dein Vater dich so im Stich lassen würde.“
„ Wo gehen wir hin?“, fragte sie und steckte ihren Hut fest.
„ Brenner?“
„ Zu schick. Da müsste ich mich umziehen.“
„ Französisch?“
„ Ja! Schneckensüpple und Coq au vin!“ Sie wandte sich an Hans: “Sag Pau – Herrn Falkenberg bitte, dass ich im »Jardin de France« bin. Er kann gerne nachkommen.
Das kann er doch, oder?“ fragte sie an Dr. Burger gerichtet.
“ Wenn du mir erklärst, wer das ist. Auf dem Weg, bitte.“ Er hielt ihr ihren Mantel hin und sie schlüpfte hinein.
Annabelle erzählte ihrem Patenonkel in der Kutsche einiges. Von den toten Frauen und der Praline »Herzblut« und ihren Untersuchungen – und von Paul.
„ Er ist so nett, Onkel Karl. Naja, mehr als nett, eigentlich.“ Sie errötete.
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