Aetherhertz
Falkenberg.“
„ Herr Falkenberg. Ich weiß nicht, warum ich immer wieder belästigt werde. Kann man mir das nicht schriftlich zukommen lassen? Meine Zeit ist knapp.” Der Mann wollte ihn loswerden.
“ Ich will Sie wirklich nicht von Ihrer Arbeit abhalten. Aber es gibt Fragen, die nur Sie uns beantworten können. Die Angehörigen haben doch ein paar Antworten verdient, oder?”
Der Arzt nickte und wich dann hastig seinem Blick aus. Er würde wohl gerne etwas sagen, verbot es sich aber.
Paul musste ihn zum Sprechen bringen. Er hatte bei seiner Arbeit häufig mit Menschen zu tun, die ihm feindselig gegenüberstanden. Es gab immer wieder Sammler von Kunstgegenständen, die sich hoffnungslos verschuldeten und wieder etwas verkaufen mussten. Wenn sie ihn dann riefen, um ihre Objekte schätzen zu lassen, hatten sie oft Angst, dass er den Wert zu niedrig ansetzen würde. Das war nur natürlich, schließlich konnte ja niemand diese Dinge so wertschätzen, wie eben sie selbst, und Paul konnte doch gar nicht den gleichen Einblick in die Feinheiten des Werkes haben – so waren ihre Gedankengänge. Er wusste, wie er mit diesen Menschen umgehen musste. Sie wollten das Gefühl bekommen, ihre Leidenschaft würde verstanden und geteilt. Hatte er das geschafft, so ließ er sie oft stundenlang geduldig erzählen, bis sie ihm vertrauten und er einen für beide Seiten zufriedenstellenden Abschluss erreichte.
Bei Kunstsammlern war das für ihn einfach, hier war er nicht in seinem Element. Er versuchte, einen Hebel zu finden. Unauffällig sah er sich nach persönlichen Gegenständen in diesem Raum um. Was tat der Arzt in seiner Freizeit? Was brachte ihn dazu, das Elend hier auszuhalten? Er brauchte Zeit.
Zeit ... er griff in seine Westentasche und zog seine Uhr heraus. Scheinbar nebenbei machte er sie von der Kette ab und legte sie auf den Tisch. Dabei tippte er unauffällig auf das Gehäuse. Ganz langsam teilte sich der Deckel und entfaltete sich zu den Flügeln eines Käfers. Der erhob sich klickernd auf sechs Beine und tastete mit langen Fühlern seine Umgebung ab. Paul tippte mit einem Fingernagel auf die Tischplatte. Der Käfer krabbelte zu ihm und untersuchte ihn mit seinen Fühlern. Paul tippte mit der anderen Hand und der Käfer krabbelte auch dort hin.
Der Arzt lehnte sich zunächst misstrauisch zurück, beugte sich dann aber immer näher zu dem emsig klickernden Käfer herunter. Schließlich tippte er selbst auf den Tisch, und der Käfer eilte zu ihm. Nachdem er das mechanische Insekt ein paar Mal hin und her hatte krabbeln lassen, dabei auch beobachtete, wie er über Hindernisse wie Füller oder Radiergummi lief, lehnte er sich sichtlich entspannt zurück. Paul holte den Käfer zu sich und berührte den Schalter, der ihn wieder in eine scheinbar normale Taschenuhr verwandelte.
Er sah den Arzt dabei nicht an. Er wusste, dass er nur eine winzige Chance hatte. Er musste warten. Jetzt war der Doktor am Zug.
Der kratzte sich am Kopf und schloss kurz die Augen, als ob er eine Entscheidung treffen müsse. Dann beugte er sich zu Paul.
„ Hören Sie, es ist doch besser, wenn der Russe nichts Genaues weiß. Was bringt ihm das? Er soll nach Hause fahren und sich mit Wodka und Balalaikaklängen bewusstlos saufen. Wozu ihm die Wahrheit erzählen? Das macht die Frau nicht mehr lebendig.“
Warum nur die Frau?, stutzte Paul. Er beobachtete, wie der Arzt sich gedankenverloren den Arm rieb. Als der Ärmel seines Kittels nach oben rutschte, konnte Paul Einstichstellen sehen. Jetzt wurde ihm klar, wie der Mann seine Erfahrungen hier verarbeitete. Gar nicht: Er flüchtete sich in den Rauschzustand, den ihm Heroin bot. Es war unter Ärzten eine weitverbreitete Droge.
Und damit hatte er seinen Hebel.
„ Wussten Sie, dass die Frau vergiftet wurde?“
„ Das hat mir das Fräulein schon gesagt.“
„ Ja, aber wir haben jetzt herausgefunden, wie es geschehen konnte.“
Der Arzt tat wieder so, als würde es ihn nicht wirklich interessieren. Aber Paul spürte, dass das nicht so war. Wahrscheinlich war dieser Mann einmal ein ambitionierter junger Mediziner gewesen, der diese Stelle hier angenommen hatte, weil er die Welt verbessern wollte. Aber er hatte irgendwann nicht mehr Schritt halten können – die schlechten Erfahrungen hatten überwogen, er hatte zu viel Elend und Tod gesehen. Aber tief in ihm drin war immer noch der Mann, der einmal etwas verändern wollte.
„ Sie wurde von einer Droge abhängig gemacht.“
Das war ein
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