Aethermagie
nicht?«
Kato erwiderte einen Moment lang seinen prüfenden Blick, dann schlug sie die Augen nieder. Es war so still im Arbeitszimmer, dass sie Charcots Uhr ticken hören konnte. Sie war von seinen Worten so verwirrt und aus dem Gleichgewicht gebracht, dass sie nahezu unfähig war, einen klaren Gedanken zu fassen. Nach einem zitternden Atemzug, in dem sie all ihren Zorn und ihre Kraft schwinden fühlte, sagte sie: »Und wenn es wirklich so sein sollte: Was können Sie dagegen unternehmen?« Dabei sah sie immer noch auf ihre Hände nieder, weil sie seinem Blick nicht begegnen wollte.
Er schwieg so lange, dass Kato fühlte, wie die letzten, armseligen Reste ihrer Zuversicht und Hoffnung schwanden und sich zerstreuten wie Pusteblumensamen in einem kräftigen Sommerwind. War es unausweichlich? Würde ihr ein Ende beschieden sein, wie ihr Vater es hatte durchleiden müssen? Sie schluckte schwer und presste ihre Hände zusammen.
»Es gibt eine Therapie, die in manchen Fällen einen guten Erfolg verspricht«, sagte Charcot.
Kato fühlte neue Hoffnung aufkeimen. Sie blickte auf, sah ihn fragend an. »In manchen Fällen?«
Er fuhr sich nachdenklich durch den Bart. Das Licht, das durch das Fenster ins Zimmer fiel, zauberte auf seinen weißen Haarkranz eine schimmernde Aureole. »Diese Therapie verlangt vom Patienten eine große Portion Kraft und Durchhaltevermögen. Aber wenn ich Sie ansehe, Fräulein von Mayenburg, erkenne ich all das in Ihnen. Mit meiner Hilfe werden Sie sich von diesen Hirngespinsten befreien und zu vollkommener geistiger Gesundheit zurückfinden.« Er richtete sich mit lebhafter Geste auf, und seine Miene drückte nichts als Zuversicht und Freude aus. »Wir werden Ihre Wahnvorstellungen Stück für Stück aus Ihrem Geist vertreiben, wir werden sie mit Stumpf und Stiel ausreißen! Schlagen Sie ein, Fräulein von Mayenburg! Lassen Sie es uns angehen!« Er reichte ihr die Hand, und Kato, nach einem kurzen Zögern, ergriff sie.
8
Das Evidenzbureau
Katya hatte das düstere Gewölbe tief unter den Straßen von Wien bisher nur aufgesucht, wenn der Pater Guardianus sie zu sich gerufen oder eine Ratsversammlung angestanden hatte. Sie fühlte sich unwohl ohne die schützende Verhüllung des Kapuzenmantels, den sie sonst in diesem Raum zu tragen pflegte. In dem großen Kamin gloste nur ein wenig rote Glut, die kein Licht und kaum Wärme abgab, und Katya drängte sich eng gegen die Einfassung und hielt die Hände über die Asche. Es war Sommer, aber hier unten herrschte immer winterliche Kälte und Feuchtigkeit. Die Kanalisation der Stadt war ein Wunderwerk aus Kanälen, Luftschächten, gemauerten Durchgängen und dunklen Gewölben wie diesem hier. Natürlich trieb sich auch allerlei lichtscheues Volk hier herum: Heimatlose, entlaufene Kinder, Bettler und Diebe, Ratten und streunende Hunde und die selbst ernannten Herren der Unterwelt, die Strotter. Katya war dem »König« der Strotter einmal begegnet, als sie einen entsprungenen Mörder, ein Mitglied der Grauen Kader, hierher verfolgt und im Hoheitsgebiet der Strotter gestellt hatten.
Die Strotter waren keine Gesetzlosen, sondern Menschen, die in den Abwässern der Kanalisation nach allem noch irgendwie Verwertbaren fischten – mit Netzen und Wehren, mit Magneten und Sieben, die an langen Stöcken hingen – und das Gefundene dann weiterverkauften.
Deshalb hatte der König der Kanal-Strotter sie auch nach Kräften dabei unterstützt, den Mörder zu fangen, und Katya hatte durchsetzen können, dass ihm und seinen Leuten für seine Hilfe eine angemessene Belohnung ausgezahlt wurde.
Auf dem Weg hierher war sie mehreren dieser Männer begegnet, die sie allesamt mit einem Nicken, einem gemurmelten Gruß, einer Handbewegung gegrüßt hatten. Katya lachte leise in sich hinein. Wenn das Kriegsministerium sie von ihrer Aufgabe entband – und das würde eher früher als später passieren –, dann konnte sie immer noch hier unten ein Auskommen finden. Vielleicht schloss sie sich den Fettfischern an, die in den Abwässern aufgesammelte Knochen, Fleischreste und Fettstücke an Seifenhersteller verkauften.
Als sie die Schritte hinter sich hörte, tilgte sie das unangemessene Lachen aus ihrem Gesicht und wandte sich mit gefasster Miene um. »Magister Superior«, grüßte sie leise und erst das erstaunte, dann breiter werdende Lächeln im sonst so ernsten Gesicht des Mannes erinnerte sie daran, dass Pater Anselm immer noch offiziell das Amt des Guardianus innehatte,
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