Aethermagie
schließen, sie zu trösten, ihr zu sagen, dass diese Fragen nur dem Zweck dienten, den Beobachter zu täuschen und dass alles gut werden würde …
Sie riss die Augen auf, als ihre Lider so schwer wurden, dass sie einzuschlafen drohte. »Anselm«, sagte sie, »sei mir nicht böse, aber ich kann hier nicht verweilen. Wie schaffe ich den Mann zu dir?«
Der Superior sah mit abwesendem Blick auf. »Wie heißt er?«
»Simon«, erwiderte sie rau. »Ich gebe Bruder Cornelius die Unterlagen mit, die unser Arzt über ihn angelegt hat. Mehr solltest du nicht wissen.«
Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Er nickte und erhob sich. »Ich schicke dir zwei Novizen.«
Katya hatte kaum den unteren Flur des Roten Hauses betreten, als Drago Pejić schon auf sie zukam. Er sah aufgewühlt und zornig aus, ein ungewohnter Anblick, denn es gab kaum etwas, über das der stille Kommissär sich aufzuregen für wert hielt. »Katalin«, sagte er hastig und leise, »Charcot hat die Baronesse entführen lassen.«
Katya starrte ihn an und einen Augenblick lang war ihr Kopf vollkommen leer. »Er hat –
was
?«
Pejić rang wahrhaftig die Hände. Er sah sich um, beugte sich vor und flüsterte: »Der Handlanger für diese Entführung war Jewgenij.«
Kaum hatte der Name seine Lippen verlassen, hatte Katya ihn schon beim Kragen gepackt und in das nächstgelegene Zimmer gezerrt. Sie knallte die Tür zu und drehte den Schlüssel um.
»Das Ganze noch mal langsam«, forderte sie den Kommissär auf. »Was hat Charcot getan? Was ist mit Jewgenij?«
Pejić berichtete ihr, wie der vorgebliche Moroni mit einer Order erschienen war, die der Kriegsminister persönlich unterzeichnet hatte und die die Baronesse von Mayenburg in die Obhut des Anstaltsleiters Charcot überstellte. Moroni habe die Baronesse förmlich aus dem Haus getragen. Er räusperte sich mehrmals rau. »Er sah vollkommen verändert aus«, fügte er dann in gedämpftem Ton hinzu. »Als wäre er nicht mehr er selbst. Aber ich war lange genug sein Partner hier im Dienst und habe ihn trotz seiner veränderten Erscheinung unzweifelhaft erkannt – die beiden Beamten, die ihn zu Fräulein von Mayenburg geleitet hatten, haben das offensichtlich nicht getan.«
Katya lehnte sich gegen die Wand und schob die Hände in die Achselhöhlen. Ihr war mit einem Mal so kalt, als wäre in diesem leer geräumten Zimmer der Winter ausgebrochen. »Was bedeutet das?«, fragte sie. »Was kann das zu bedeuten haben? Was mache ich jetzt, an wen wende ich mich …« Sie riss den Kopf hoch, starrte Pejić an. »Was ist mit ihrem Vater? Ist er …«
Pejić nickte mehrmals nachdrücklich. »Immer noch an Ort und Stelle«, erwiderte er. Sein Gesicht zeigte einen ungewohnten Ausdruck von Mitgefühl.
Katya stieß den Atem aus. Sie ordnete mit Mühe ihre Gedanken und zwang sich zur Ruhe. Eins nach dem anderen. »Hören Sie zu, Drago«, sagte sie eindringlich, »Sie waren Jewgenijs Partner. Er wird das Brünnlfeld nicht mehr lebend verlassen, wenn wir nicht etwas unternehmen. Ich dachte daran, bei passender Gelegenheit das Lenski-Manöver zu wiederholen. Es wäre gut, wenn Sie sich dementsprechend ausrüsten.«
Seine Lippen bewegten sich stumm, er wirkte angespannt. »Das Lenski-Manöver«, wiederholte er dann. »Ich verstehe. Ich werde mich darauf vorbereiten.«
Katya drückte kurz und herzlich seine Hand. »Dann zu Baron von Mayenburg. Er muss sofort verlegt werden. Im Hof wartet eine Droschke mit zwei Männern, um ihn mitzunehmen. Veranlassen Sie das Nötige.«
Der Kommissär verneigte sich stumm. Er legte die Hand auf den Schlüssel, die andere auf die Türklinke und zögerte. »Katalin«, sagte er leise, »ich habe meine Order bekommen. Morgen verlasse ich das Rote Haus.«
»Auch das noch!«, entfuhr es Katya. Sie wandte sich mit einer heftigen Bewegung ab und schlug in ohnmächtiger Wut mit der Faust gegen die Wand.
Pejić schwieg.
Katya fasste sich und drehte sich zu ihm um. »Verzeihen Sie mir den Ausbruch. Ich bin todmüde.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Sie auch, Drago, ich weiß. Gehen Sie in Frieden. Und danke, dass Sie mir heute, an Ihrem letzten Tag in diesem Dienst, noch beistehen.«
Er nickte steif und ging ohne ein weiteres Wort hinaus. Katya sah ihm nach, und ein ungutes Gefühl machte sich in ihrer Magengrube breit. »Die Schlinge zieht sich zu«, flüsterte sie. »Katharina, was haben sie mit dir vor?«
Grünwald war nun ihre einzige Hoffnung. Wenn sie doch nur nicht so genau
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