Aethermagie
Katya ließ den Fahrer am Anfang der Straße halten. »Fahren Sie ganz langsam einmal die Gasse hinunter«, sagte sie. »Ich möchte die Umgebung kontrollieren.«
Der Chauffeur tat, was sie wollte. Katya blickte aus dem Seitenfenster. Der Laden war dunkel, aber ganz hinten schien noch ein Licht zu brennen. Gut. Tiez war ein Nachtmensch – genau genommen schien er nie zu schlafen, denn sie traf ihn immer wach an, egal, wann sie bei ihm auftauchte.
Wenig später stand sie vor »Curiosa und Kramasuri«, das Kleiderbündel und den Picknickkorb unter dem Arm und den schweren Revolver sicher in ihrer Jackentasche verstaut. Der Motorwagen rollte langsam davon. Katya drückte die Nase an die Fensterscheibe, dann klopfte sie mehrmals nicht allzu leise gegen die Tür. Sie drehte sich um und beobachtete die Gasse, die Häuser, die dunklen Fenster, die auf sie herunterstarrten, und zog unbehaglich die Schultern hoch. Wie auf einer Bühne, dachte sie. Es ist nicht gerade unauffällig, in der Morgendämmerung an eine Ladentür zu trommeln.
Im Geschäft rührte sich nichts. Katya biss die Zähne aufeinander. Sie stellte ihr Gepäck ab und kramte den Dietrich hervor. Was sein musste, musste sein. Horatius hatte sicherlich Verständnis für diesen Einbruch.
Das Schloss war lächerlich einfach zu knacken. Sie hob ihre Sachen auf und drückte sich eilig durch die Tür, wobei sie versuchte, das Bimmeln der Glocke zu vermeiden. Es gelang ihr beinahe.
Dann stand sie eine Weile in der tickenden Dunkelheit und beruhigte ihren Atem. War nicht eben, als sie vorbeigefahren waren, noch ein Licht im Laden zu sehen gewesen? Jetzt war es stockfinster.
Sie schlängelte sich an den Vitrinen vorbei, die überall im Laden verteilt standen. Die Tür zum Flur stand einen Spaltbreit offen und wieder schien es ihr, als blitzte kurz ein Licht auf, das ein Muster auf den Boden zeichnete und wieder verlosch.
Katya schob die Tür mit einem entschiedenen Ruck auf und betrat den unheimlichen Korridor. Sie zögerte nur kurz, dann ging sie tastend voran. Rechts und links säumten hohe Regale die Wände, in denen es raschelte, tickte und wisperte, als wären sie von lebendigen Wesen bewohnt. Hier und da glühte ein kleines Licht – oder waren es Augen? – grün, rot, gelblich. Katya blickte starr geradeaus. Klackerte da etwas hinter ihr über den Boden? Sie drehte den Kopf, versuchte vergeblich, der undurchdringlichen Dunkelheit etwas zu entringen.
Stille. Nur das beständige Rascheln, das Ticken von Uhrwerken, ein leises Klackern aus einem der Regale. Wahrscheinlich bewegte sich dort eins dieser erstaunlichen mechanischen Spielzeuge, die Horatius Tiez mit seinen Jungen zu bauen pflegte.
Weiter. Sie tastete mit den Fingerspitzen über die Regalholme. Irgendwo hier musste das Wohnzimmer sein. Sie würde sich dort auf dem Sofa zusammenrollen, etwas essen und schlafen. Wie müde sie war!
Glattes Holz, eine Türklinke. Katya atmete erleichtert aus. Sie drückte die Tür auf und stand in einem Zimmer, durch dessen Fenster das schwache Licht einer Straßenlaterne fiel. Sie konnte Möbelstücke erkennen – ein paar Stühle, eine schiefe Récamiere, ein kleiner Tisch. Das war nicht das Wohnzimmer, aber es war ein Raum, in dem sie sich zur Ruhe begeben konnte.
Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss. Sie fuhr herum. Klackernde, klappernde Beine. Rot glühende Augen. Scherenähnliche Auswüchse, die nach ihren Beinen schnappten. Katya keuchte und wich zurück. Wo kam das Wesen her? War es von der Decke gefallen? Sie ließ die Kleider und den Korb fallen und zerrte ihre Pistole aus der Tasche. Die Waffe verhakte sich, Stoff riss. Katya zielte auf das Ding, das ihr bereits den Rock zerfetzt und schmerzhafte Schnitte in den Schenkeln beigebracht hatte, und drückte ab. Der Knall war ohrenbetäubend, der Rückstoß ließ sie taumeln, weil sie keinen festen Stand gehabt hatte. Die Kugel traf das Wesen zwischen seine blinkenden Augen und ließ den Kopf in tausend Stücke zerspringen. Metallteilchen sausten davon und klingelten gegen die Möbelbeine, ein Bolzen knallte gegen eine Vase und ließ sie umkippen, ein Zahnrad zischte wie ein Komet durch das Zimmer und blieb in der Tür stecken. Das Wesen gab ein beinahe menschliches Kreischen von sich und fiel um. Etwas zischte in seinem Inneren und ein Rauchwölkchen stieg auf. Es stank nach verschmorendem Gummi.
»Meine Güte«, sagte Katya und senkte zitternd den Revolver. »Was war das?«
»Kerberos junior«, sagte
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